Klagen wegen «schlechter Presse»? Das kann auch nach hinten losgehen

Klagen wegen «schlechter Presse»? Das kann auch nach hinten losgehen

Klagen wegen schlecher Presse?

Soll man bei medialen Beleidigungen juristisch vorgehen? – Wir meinen: Solange es lediglich um den eigenen Stolz geht: Besser nicht.

Gleich in zwei Fällen zeigt sich innert kürzester Zeit, dass medienrechtliche Schritte oftmals das Gegenteil dessen erreichen, was sie sollen, und die Reputation nur noch mehr beschädigen. Gegen Medien oder Autoren vorzugehen, sollte deshalb immer gut überlegt sein.

Fall 1.

Ein Bündner Ex-Richter fühlt sich beleidigt

Das jüngste Beispiel dazu ist der Bünder ex-Verwaltungsrichter, welcher vor rund drei Jahren eine Gerichtspraktikantin vergewaltigt haben soll. Der Richter wurde im November 2024 erstinstanzlich verurteilt, es gilt aber bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung. Was war passiert? Der Fall wurde bereits zwei Jahre früher publik, im Dezember 2022. Damals hatten zeitgleich die SONNTAGSZEITUNG, die SÜDOSTSCHWEIZ und das Justizportal INSIDE-JUSTIZ über die Vorwürfe berichtet. In letzterem Medium hatte anschliessend ein Leserbriefschreiber den Beschuldigten als «arroganten Grosskotz» bezeichnet, woraufhin dieser eine Stafanzeige gegen den Leserbriefschreiber und den Chefredaktor von INSIDE JUSTIZ einreichte.

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Gerichtsverfahren und auch Strafbefehle sind öffentlich

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Journalisten halten zusammen

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Klagen führen oft zu mehr negativer Publizität und sind kontraproduktiv

Das Verfahren gegen den Chefredaktor wurde rasch eingestellt, ein halbes Jahr später wurde der vermeintliche Leserbriefschreiber – ein 72-jähriger Mann in Chur – wegen übler Nachrede verurteilt. Letzterer Vorgang fand schweizweit breite Abdeckung auch in publikumsträchtigsten Medien wie TAGES-ANZEIGER oder 20 MINUTEN. Sie alle berichteten unter ausführlicher Nennung der Vorwürfe – was Medien auch straffrei dürfen: Die wahrheitsgemässe Berichterstattung über Gerichtsverfahren (und Strafbefehle gehören dazu) ist erlaubt. Resultat: Die mutmassliche Beleidigung wurde nun plötzlich hunderttausendfach publiziert und weiterverbreitet. Den ursprünglichen Leserbrief hatten wahrscheinlich nur ein paar hundert Leute überhaupt zur Kenntnis genommen (er war von der Redaktion von INSIDE JUSTIZ nach kurzer Zeit gelöscht worden, und INSIDE JUSTIZ ist eine kleines Medium, das vor allem von Juristen und Journalisten gelesen wird), mittlerweile kennt die halbe Schweiz den Vorwurf.

Screenshots: Sowohl der TAGESANZEIGER wie auch 20 MINUTEN – zwei der reichweitenstärksten Schweizer Medientitel, berichteten über das Verfahren und verbreiteten die Vorwürfe weiter.

Bild: Ausschnitt aus der Strafanzeige (zitiert nach INSIDE JUSTIZ)

Fazit 1:

Ein klassisches Eigentor. Und die Erkenntnis, dass Strafanzeigen gegen Medien oder auch Leserbriefschreiber gut überlegt sein sollten. Insbesondere, wenn man selbst im Glashaus sitzt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass unter Medienschaffenden häufig eine Solidarität über die eigene Redaktion hinweg herrscht und sich die Kolleginnen und Kollegen untereinander häufig kennen und gut vernetzt sind: Wer sich mit einem Medientitel anlegt, legt sich mit den Medienschaffenden insgesamt an. Und das dürfte in den wenigsten Fällen eine erfolgsversprechende Strategie sein.

Fall 2.

Minister Habeck greift zum Zweihänder

Das zweite Beispiel betrifft den deutschen Wirtschaftsminister und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck. Zur etwa gleichen Zeit wurde bekannt, dass ein Twitter-User ein Meme (eine Karikatur) weitergeleitet hatte, die das Bild von Habeck zeigte und darunter, im Design und mit Logo des Haarprodukteherstellers «Schwarzkopf», den Schriftzug «Schwachkopf». Habeck gab die beleidigte Leberwurst und reichte Strafanzeige an. Die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft und Gericht) in Bamberg, für ihre rüde Unterwanderung der Meinungsäusserungsfreiheit landesweit bekannt, ordnete eine Hausdurchsuchung bei dem Twitterer an. Bei dem Mann handelt es sich um einen älteren Herrn und Vater einer Tochter mit Trisomie 21.

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David-Goliath-Prinzip: Aus einer Machtposition heraus vorzugehen bringt keine Sympathiepunkte

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Dünnhäutigkeit zeugt nicht von politischer Stärke

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Anzeigeerstatter wird auch für unverhältnismässiges Vorgehen der Behörden direkt verantwortlich gemacht

Die völlig verhältnislose Hausdurchsuchung am Morgen früh kurz nach sechs wurde zu einer landesweiten Geschichte und von allen einschlägig bekannten Polit-Influencers auf Twitter, Youtube, Instagram und TikTok rauf und runtergenudelt. – Habeck, der als Kanzlerkandidat der Grünen eigentlich grad’ dringend auf Sympathiepunkte angewiesen wäre, wurde zum Buhmann. Erst recht, als auskam, dass er während seiner Ministerzeit schon über 800 Strafanzeigen wegen Majestätsbeleidigung eingereicht hatte. Strafverfolgungsbehörden und Gerichte müssten sich mit Banalitäten herumschlagen, die halt zum politischen Alltag gehörten, statt dass sie sich den tatsächlich gefährlichen Straftätern zuwenden könnten, argwöhnten die einen. Die Obrigkeit könne nicht mit Kritik umgehen, es herrschten in Deutschland Zustände wie in autokratischen Systemen, monierten andere. Vor allem wurde auch hier das ursprüngliche Meme wohl hunderttausendfach weiterverbreitet, es wurden T-Shirts bedruckt mit Sprüchen wie «Schwachkopf… ich darf’s nicht sagen, aber Du weisst schon, wer gemeint ist» u.ä.

Fazit 2:

Ein komplettes Eigentor auch hier. Das eigentlich harmlose Meme, das eine PEP (Politisch exponierte Persönlichkeit) eigentlich locker wegstecken sollte, wird zum Symbol für einen dünnhäutigen Minister, der lieber missliebige Bürger strafrechtlich verfolgt, statt sich um seine eigentliche Aufgabe als Wirtschaftsminister zu kümmern und dafür zu sorgen, dass Deutschland aus der selbstverschuldeten Rezession findet.

Quintessenz 

 

Natürlich muss man sich nicht alles bieten lassen. So wird wohl kaum ein Medienschaffender kritisch darüber berichten, wenn sich exponierte Personen z.B. bei konkreten Drohungen zur Wehr sitzen («Ich weiss, wo Du wohnst», «Ich kenne Deine Kinder», etc.). Dünnhäutigkeit im politischen Diskurs wird aber nicht als Zeichen der Stärke wahrgenommen, im Gegenteil. Und juristische Schritte aus einer Position der Macht («Goliath») gegen einen einfachen Bürger (« David») bringen keine Sympathie, für viele Medien und Soziale Medien aber einen guten Aufhänger, um die inkriminerten Vorwürfe im Rahmen der Berichterstattung über die rechtlichen Schritte weiter zu verbreiten.

Mein Vater sel. pflegte in solchen Situation treffend zu sagen: «Was kümmert es den Mond, wenn ihn ein Hund anbellt.» Etwas mehr von dieser Contenance wäre häufig die vernünftigere Strategie als der Gang zum Rechtsanwalt.

Wie die Swiss uns für dumm verkaufen will

Wie die Swiss uns für dumm verkaufen will

Der kommunikative Absturz der Swiss

Zunächst war es lediglich ein Post auf LinkedIn, unterdessen auch längst wieder gelöscht. Dennoch machte der Ärger von Bulgari-CEO Jean-Christophe Babin die Runde. Fast 20 Artikel sollten es am Ende werden, ausgehend von der Handelszeitung.ch über  blick.ch,  watson.ch bis zu finews.ch. Adressat des Frusts: die deutsche Fluggesellschaft SWISS. Grund des Frusts: Grottenschlechte Qualität.

«Bulgari-Chef geht wegen der Swiss in die Luft», war einer der Titel, oder dann: «Das einzige Geschäft, in dem Inkompetenz nicht bestraft wird» – wie in der Handelszeitung. Diese hatte als erste bemerkt, wie Babin ordentlich über die Fluggesellschaft Swiss ablästerte, die früher mal eine schweizerische und für Qualität bekannt war, seit sie zur Lufthansa-Gruppe gehört, aber laufend mit negativen Schlagzeilen über unzufriedene Kunden in der Presse ist. Als Passagier sei man eine «Geisel der Inkompetenz und Arroganz», zog auch Babin vom Leder, die Swiss sei eine der teuersten Fluggesellschaften der Welt, dafür bekäme man einen durchschnittlichen Service, alte Flugzeuge und schlechtes Essen.

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Der Frust muss angestaut gewesen sein, und dass Babin einfach einen schlechten Tag hatte, kann ausgeschlossen werden. Denn er ist Mitglied im Vielfliegerprogramm «Senators auf Lebzeiten», wie die HANDELSZEITUNG schreibt. Mit anderen Worten: Ein Key Account Kunde. Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte vermutlich eine Erfahrung seiner Frau, die einen Flug gebucht hatte und eben einmal drei Stunden vor Abflug erst erfahren hatte, dass die Verbindung gestrichen worden war. Ersatzlos. Eine Alternative habe es erst am späten Nachmittag des Folgetages gegeben. «Eine totale Schande für die Fluggesellschaft», zitieren die Zeitungen genüsslich Babins Wutausbruch.

Und Babin blieb mit seinem Frust nicht lange alleine. Andere Manager doppelt nach. Grosses Thema: Doppelt verkaufte Sitzplätze – in der Hoffnung, einer der Passagiere würde dann schon nicht erscheinen. Blöd nur, wenn beide kommen. Dann muss einer auf den Flug verzichten. Klar: Das mögen Manager mit engen Zeitplänen nicht wirklich. Der Höhepunkt des Bashings: ein Manager, der schreibt, er habe sich letztes Jahr selbst in einem Post darüber geäussert, dass SWISS mit ihrem grottenschlechten Service gerade dabei sei, ihre Marke zu zerstören. Daraufhin sei ihm «von einem leitenden Direktor aus der Schweiz» beschieden worden, dass ihm der negative Post «egal» sei.

Die Medienstelle der SWISS versucht offensichtlich nicht einmal mehr, den Schaden einzugrenzen. Karin Montani, Leiterin der Medienstelle, wird in der HANDELSZEITUNG mit der Aussage zitiert: «Den Post können wir aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht kommentieren. Wir machen grundsätzlich keine Aussagen zu unseren Kundinnen und Kunden ohne deren Einverständnis.» – Es ist das Eingeständnis des kommunikativen Vollversagens – sowohl im Kunden- wie im Reklamationsmanagement.  Natürlich gibt es keinerlei datenschutzrechtliche Gründe, auf die öffentlich geäusserte Kritik eines unzufriedenen Kunden zu reagieren. Es ist nicht nur nicht verboten, eine Reaktion wäre geradezu angezeigt, um zu retten, was noch zu retten ist. – Ausser natürlich, wenn sowie schon die Devise gilt: «Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich gänzlich ungeniert.»

Kommunikatives Vollversagen: Swiss-CEO a.i. Heike Birlenbach (links), Medien-Chefin Karin Montani (rechts)

Die kommunikativen Lehren

Was angemessen gewesen wäre

Zunächst empfiehlt es sich, auf einen Post wie den von Babin umgehend direkt auf dem Social Media Kanal zu reagieren. Ob das durch die Medienstelle erfolgt oder den Kundendienst, bleibe dahingestellt. Wie figura zeigt, ist aber bei Kritik durch Prominente auf jeden Fall damit zu rechnen, dass die Kritik von den Medien aufgenommen wird. Eine Entschuldigung und einige Sätze des ehrlichen Bedauerns sind deshalb auf jeden Fall angebracht. Dem sollte eine persönliche Kontaktaufnahme folgen, und zwar nicht durch eine subalterne Stelle. Sondern auf Augenhöhe. Wenn der CEO einer weltweit tätigen Uhrenmarke sich beklagt, kann die Entschuldigung nur vom CEO respektive von der CEO der Fluggesellschaft kommen. Ja, Reklamationsmanagement kann manchmal Chefsache sein.

Der Schreibende kann sich noch gut erinnern, wie er vor gefühlten 20 Jahren äusserst unzufrieden war mit einem Vorgang bei der Swisscom und sich beim damaligen Swisscom-CEO Jens Alder persönlich beschwerte. Völlig unerwarteterweise schrieb Alder persönlich zurück – oder, sagen wir: kam eine Antwort von Alders E-Mail Account und war von ihm persönlich unterzeichnet. Alder bot eine mehr als faire Geste der Wiedergutmachung an, mit dem Resultat, dass der Schreibende noch heute Kunde bei der Swisscom ist und seit Jahren (zu)viel Geld für das eigentlich überteuerte Mobiltelefon-Abo bezahlt.

Wenn der Kunde sich im Unrecht befindet

Tatsächlich gibt es immer wieder Fragen, wie auch medial damit umgegangen werden kann, wenn Kunden bei ihren Reklamationen nur die Hälfte der Geschichte erzählen und gefliessentlich den Teil auslassen, der die Geschichte in einem anderen Licht erscheinen lassen würde. – Wenn sich beispielsweise herausstellen würde, dass Babins Frau lediglich ein «Standby»-Ticket hatte und damit keinen Anspruch auf einen Platz im Flieger. Nicht, dass dies gemäss den bekannten Informationen der Fall gewesen wäre – aber spielen wir den hypothetischen Fall  beispielhaft durch.

In einer solchen Situation verbietet es sich tatsächlich, die Kundin öffentlich blosszustellen. Das Problem lässt sich aber einfach umgehen, indem von dem konkreten Fall abstrahiert wird. Beispiel: «Zu konkreten Kundenverhältnissen kann ich Ihnen aus Gründen des Datenschutzes keine Auskunft geben. Generell kann ich Ihnen aber sagen, dass solche kurzfristige Absagen Kunden mit Standby-Tickets betreffen. Solche Tickets sind sehr günstig, beinhalten aber das Risiko, dass man einen Flug nicht wahrnehmen kann.»

Die Technik kann auch verwendet werden, wenn z.B. aus Gründen des Amtsgeheimnisses eine Medienanfrage nicht konkret beantwortet werden kann. Unser klassisches Schulungsbeispiel: Ein arbeitsloser 55-jähriger ehemaliger Personalchef wird von einem RAV zu einem Bewerbungskurs geschickt und beklagt sich in den Medien bitter darüber. Antwort der RAV-Leiterin: «Zu konkreten Fällen darf ich Ihnen nichts sagen, wegen dem Datenschutz. Allgemein gilt aber, dass wir solche Kurse anordnen, wenn jemand, der eine Arbeit sucht, auch nach vielen Bewerbungen und längerer Zeit nie einen Vorstellungstermin erhält. Unsere Erfahrung zeigt, dass dann häufig eine Verbesserung der Bewerbungsunterlagen nach einem solchen Kurs zum Erfolg führt. Und diese Erfahrung gilt übrigens auch für Menschen aus dem Personalwesen.» Mit dieser Antwort hat die RAV-Leiterin das Amtsgeheimnis gewahrt, keine Persönlichkeitsrechte verletzt und doch den Vorwurf in einer Art und Weise gekontert, die dem neutralen Zuhörer eine alternative Sichtweise eröffnet.

Grundbedingung für diese Antworttechnik ist natürlich regelmässig, dass die Organisation, an der Kritik geäussert wird, ein moralisch-ethisch korrektes Geschäftsgebaren an den Tag legt und es sich bei den Kritikpunkten um Ausreisser handelt. Falls das nicht der Fall ist, kann der Rat nur noch sein, entweder das Ruder herumzureissen (was für den CEO vielleicht möglich ist) oder (z.B. als Kommunikationsverantwortliche) das sinkende Schiff noch zu verlassen, bevor der eigene Ruf ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wird.

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