by Patrick Senn | 09.09.2024 | Gesellschaft, Krisenkommunikation, Medienwelt, Politik
Denken – Schlücken – Drücken – Sprechen
Lehren aus dem Faux-Pas von Sanja Ameti
Es ist ein altes Militärmotto, das jeder Funker der Schweizer Armee gelernt hat: Denken – schlücken – drücken – sprechen. Entscheidend ist die Reihenfolge. Sie meint: Überleg’ Dir erst, was Du zu sagen hast, bevor Du sprichst.
Es ist ein Motto, das so einigen gut tun würde. Vorab in der politischen Welt. Jüngstes Beispiel: Die 32-jährige Sanija Ameti. GLP-Politikerin, Zürcher Gemeinderätin, Chefin der «Operation Libero», Juristin, ewige Doktorantin, Mitarbeiterin der PR-Agentur Farner in Zürich und Grossmaul. So machte sie schon in der Vergangenheit mit saloppen Sprüchen Schlagzeilen, etwa, als sie in einer TV-Sendung über die SVP-Poltiker Albert Rösti und Hans-Ueli Vogt sagte: «Die kann ich mir nicht schöntrinken.» Ameti weiss: Klappern gehört zum Geschäft. Wer in den Medien wahrgenommen werden will, muss bisweilen provozieren. Das tat sie regelmässig, und weil sie auf der «richtigen» Seite steht (sprich: linksliberale Positionen vertritt), wurde sie alsbald Liebkind der Medienschaffenden.
Zumindest bis letzte Woche. Da postete Ameti auf Twitter, wie sie als Sportschützin übt. Nach einem Schiessstand sieht die Umgebung nicht aus. Ameti schiesst auch nicht auf eine F-, B- oder A-Scheibe, wie Sportschützen das in aller Regel tun. Sondern auf ein Bild, das Maria mit dem kleinen Jesus zeigt. Die Einschusslöcher sind deutlich zu sehen. Zu dem Post schreibt sie: «Abschalten».
Der Shitstorm folgte auf den Fuss. Als der BLICK letzte Woche nachfragt, ob sie sich bewusst sei, dass sie damit womöglich religiöse Gefühle von Menschen verletze, löscht Ameti den Post umgehend und entschuldigt sich. In 20MINUTEN wird sie mit der Aussage zitiert:
«Als Vorlage für das 10-Meter-Schiessen habe ich Motive gebraucht, die genug sichtbar sind. Ich hatte nur den Koller-Katalog zur Hand, der gross genug war. Auf den Inhalt der Bilder habe ich nicht geachtet. Das war nicht richtig. Tut mir von Herzen leid, falls ich damit jemanden verletzt habe!»
Aktuell findet sich auf ihrem Twitter-Profil lediglich noch die folgende Nachricht:
«Ich bitte um Vergebung bei den Menschen, die durch meinen Post verletzt wurden. Ich habe diesen sofort gelöscht, als mir der religiöse Inhalt bewusst wurde. Ich habe nichts dabei überlegt. Es tut mir unglaublich Leid.»
Gleichwohl ging der Faux-pax viral. Und das international. «In Switzerland, a muslim politician used Baby Jesus for target practice and posted it on Instagram – people like her embolden Muslims to attack Europeans. This is a hate crime», schreibt Stella Birdie. Schweizer Politikerinnen fordern Ametis Rücktritt aus allen politischen Ämtern. Ihre Partei, die Grünliberalen, distanzieren sich. Die EU-integrationsfreundliche Operation Libero, deren Präsidentin Ameti ist: sie schweigt.
In Kommentarspalten und Zeitungsartikeln wird fleissig diskutiert, ob man so naiv und sich der Bedeutung eines solchen Posts nicht bewusst sein könne. Oder ob Ameti gezielt habe provozieren wollen und der Schuss nun einfach, quasi buchstäblich, nach hinten los ging. Den meisten erscheint die Rechtfertigung Ametis als wenig glaubwürdig. Gaudenz Freuler, ein emeritierter Professor für Kunstgeschichte, hält Ametis Aussagen in der Zeitung 20 MINUTEN für eine «faule Ausrede». Religionswissenschafter Andreas Tunger-Zanetti findet an selber Stelle: «Das zeugt von schlimmer Unkenntnis und Ignoranz, die einer Politikerin schlecht ansteht.» Und: «Egal, ob religiös oder nicht, schon das Schiessen auf menschliche Darstellungen finde ich höchst fragwürdig.»
Besonders brisant: Auch Jürg Grossen, Parteipräsident der GLP Schweiz, nimmt ihr die Entschuldigung nicht ab. Im BLICK lässt er sich mit der Aussage zitieren: «Das war eine vorsätzliche Provokation.»
Weltweiter Shitstorm
Die Ausschnitte aus X (früher Twitter) zeigen, wie hoch die Wellen schlugen und wie die Affäre rasch auch weltweit Beachtung fand. Der Vorgang zeigt, dass religiöse Motive im Rahmen des tobenden Kulturkampfes heikler sind denn je. Von Personen in politischen, sportlichen oder gesellschaftlichen Führungsrollen muss deshalb erwartet werden können, dass sie sich dieser Problematik und ihrer Verantwortung bewusst sind und nicht leichtfertig mit dem Feuer spielen. Wer das nicht versteht, hat in einer solchen Rolle nichts verloren.
Die kommunikativen Lehren
Zum ersten (und das schreiben wir hier nicht zum ersten Mal):
Social Media Posts sind gefährlich. Besonders, wenn die Impulskontrolle versagt und einfach wild gepostet wird. Egal, ob bewusste Provokation oder dümmliche Naivität: Der Shitstorm, dessen finale Konsequenzen noch nicht abschätzbar sind, wäre zu vermeiden gewesen, wenn Ameti getan hätte, was wir allen raten, die auf Social Media posten: Schaltet zur Qualitätskontrolle einen «Produzenten» zwischen. Eine Person, die jeden Beitrag «abnimmt», bevor er online geht. Die kritisch hinterfragt: Ist es jetzt schlau, so etwas zu posten?
Zum zweiten:
Bei allem Drang zur Selbstdarstellung: Nicht alles muss ins Netz und online gehen. Wir plädieren für eine neue Kultur der Demut und der Selbstbeschränkung. «Content is king», aber richtig verstanden. Will heissen: Weniger BlaBla und heisse Luft, dafür mehr Substanz. Inhalte statt Verpackung. Relevanz statt Popanz. Die Schiessübungen der Möchte-Gern-Politikerin haben im Netz genau so wenig verloren wie die Hochzeit der Industriellentochter, bei der sich primär der Herr Papa inszeniert.
Zum dritten:
Die schöne neue Welt birgt das Risiko der Selbstüberschätzung. Jung, attraktiv und frech reichen heute aus, um von den Medien wahrgenommen zu werden. Und eine positive Medienwahrnehmung reicht häufig genug aus, um in der Politik in Amt und Würden zu gelangen. Auf der Strecke bleiben Bildung, Wissen und (Führungs-) Erfahrung.
Nur: Früher oder später wird die fehlende Substanz sichtbar. Die deutschen Spitzenpolitiker lassen grüssen: Ob Ricarda Lang, Kevin Kühnert, Saskia Esken oder Katrin Göhring-Eckert: Die Generation der Studienabbrecher und Langzeitstudenten ohne Abschluss beweist aktuell grad deutlich, dass die Substanzdefizite früher oder später zum Vorschein kommen und zum Bumerang werden. Das gilt auch für Ameti: Ein gutes Buch über die Kulturgeschichte Europas wäre das bessere Investment in die politische Zukunft gewesen als eine Combat-Übung im Stile einer IS-Terroristin.
by Patrick Senn | 04.08.2024 | Krisenkommunikation, News
IOC Krisen-kommunikation:
Aus schon in
der 1. Runde
Wäre Krisenkommunikation ein olympischer Wettbewerb, das Internationale olympische Komitee wäre darin kläglich gescheitert und wohl bereits in der ersten Runde sang- und klanglos ausgeschieden.
Eine Analyse
IOC-
Krisen-
kommunikation
Aus schon in
der 1. Runde
Wäre Krisenkommunikation ein olympischer Wettbewerb, das Internationale olympische Komitee wäre darin kläglich gescheitert und wohl bereits in der ersten Runde sang- und klanglos ausgeschieden.
Eine Analyse
Die Olympischen Spiele 2024 in Paris sind vorbei. Die Diskussionen darüber dürften noch einige Zeit nachhallen. Das gilt insbesondere für die Krise rund um das olympische Frauen-Boxturnier, das in zwei Gewichtskategorien von Athletinnen gewonnen wurde, die womöglich genetisch keine Frauen, sondern Männer sind. Das IOC und dessen Präsident Thomas Bach wurden in dieser Krise durch die International Boxing Association regelrecht vorgeführt. Die Krise hat aber auch deutlich die Interessenskollisionen aufgezeigt zwischen den Bemühungen um die maximale Inklusion aller Vertreterinnen von verschiedenen Geschlechtsvarianten und dem Anspruch auf faire Wettbewerbsbedingungen in den Frauen-Disziplinen.
Die nachfolgende Analyse geht in verschiedenen Kapiteln auf die einzelnen Aspekte der Krise ein. Es sind dies:
# Einleitung
# Es geht noch schlimmer: Die Vorgeschichte
# Der Sachverhalt gerät zum Puzzlespiel
# Hohes Testosteron oder nicht?
# Die Tatsachen kommen scheibchenweise ans Licht
# IOC und IBA liegen sich seit Jahren in den Haaren
# World Boxing als neuer Player
# Und noch ein Player enthüllt Unglaubliches
# Die medizinische Seite
# Die Medienlage: Delikat
# IOC: Kein Krisenmanagement
# Das IOC wider die wissenschaftliche Erkenntnis
# IOC-Krisenkommunikation: Nicht qualifiziert
# Der IOC-Präsident macht alles noch viel schlimmer
# Fazit
Das Debakel begann schon mit der Eröffnungsfeier: Die Neuinszenierung des «letzten Abendmahls» als queeres Schauspiel geriet konservativen christlichen Kreisen komplett in den falschen Hals. Sie sprachen von Blasphemie und kritisierten die Organisatoren über Tage, bis sich das IOC schliesslich entschuldigen musste.
Schon hier glänzte die Krisenkommunikation nicht. Zunächst räumte das IOC ein, die Anlehnung an das Bild «Das letzte Abendmahl» von DaVinci sei ein Fehler gewesen. Später dann versuchte man sich damit zu retten, dass die Szene eigentlich gar nicht auf das letzte Abendmahl referenzierte, sondern auf das Gemälde «Fest der Götter» des niederländischen Malers Jan van Bijlert.
Na was denn nun? – Krisenkommunikation, die nicht einmal die Fakten kennt?
Es geht noch schlimmer: Die Vorgeschichte
Als noch unfähiger beweist sich das Krisenmanagement des IOC in der Kontroverse um zwei Boxerinnen, die an den Kämpfen teilnehmen, obwohl sie von ihrem eigenen Verband IBA vor einem Jahr gesperrt worden waren. Der Skandal entbrannte, als die Italienische Boxerin Angela Carini ihren Kampf gegen die Algerierin Imane Khelif nach 46 Sekunden aufgab, weinend auf dem Boden sass und anmerkte, das sei nicht fair.
Carini spielte damit (auch wenn sie das einen Tag später bestritt) darauf an, dass umstritten ist, ob Imane Khelif tatsächlich eine Frau ist. Von der Kämpferin kursieren nicht nur Bilder, auf denen sie von einer Mehrheit der Betrachter wohl zweifelsfrei als Mann eingeschätzt würde. Khelif hatte vor einem Jahr bei den WM-Titelkämpfen in New Dehli einen Geschlechtstest nicht bestanden und war damals vom Weltverband «International Boxing Association» IBA disqualifiziert worden – genauso wie auch die Taiwanische Kämpferin Lin Yu-ting.
Die damalige Entscheidung wurde von Vorstand des IBA bestätigt, das Protokoll dazu ist im Internet frei zugänglich. Klarheit schafft es allerdings insofern nicht, dass es lediglich von «Tests» spricht, die von zwei unabhängigen Labors in zwei verschiedenen Ländern durchgeführt worden seien und die gemäss Massgabe der Reglemente ergeben hätten, dass die beiden getesteten Personen nicht «berechtigt» seien, an dem Frauenturnier zu boxen. Was aber genau getestet wurde, erschliesst sich aus dem Protokoll alleine nicht.
Mann oder Frau? Dieser Bilder von Imane Khelif kursierten insbesondere im Internet, um die Frage zu stellen: Kann es sich bei Imane um eine Frau handeln?
Der Sachverhalt gerät zum Puzzle-Spiel
Immerhin lässt sich aus dem Reglement, auf das die IBA verweist, eine These bilden. Auf Seite 9 der «IBA Technical & Competition Rules» findet sich nämlich die Definition, was der Verband unter «Women/Female/Girl» versteht: «Ein Individuum mit XX Chromosomen.» Und: «Boxer können einem Gendertest unterzogen werden, um das zu überprüfen und die Berechtigung für die Teilnahme an einem IBA Wettbewerb festzustellen.»
Es liegt deshalb nahe, dass die Geschlechtstests von Khelif und Yu-Ting zum Ergebnis gekommen sein mussten, dass die beiden nicht den weiblichen XX-Chromosomensatz haben, sondern einen XY-Satz – und damit männlichen Geschlechts sind. Dafür gibt es weitere Indizien. Zum einen kursieren im Netz und in den Medien Zitate des IBA-Präsidenten Umar Kremlev, gemäss denen der Russe ausgesagt haben soll, die Athleten hätten einen XY-Chromosomensatz. Die Aussagen lassen sich allerdings nicht verifizieren.
Hohes Testosteron oder nicht?
Nach den Aussagen der IBA selbst soll ein anderes Kriterium, das in der Vergangenheit schon für die Geschlechterüberprüfung verwendet wurde, hier nicht zugezogen worden sein. Und zwar die Testosteron-Werte. In einer Mitteilung der IBA vom 31. Juli 2024, also mitten in der laufenden Krise, hält diese nämlich fest, dass die Athleten «keinem Testosterontest» unterzogen worden seien. Die Kommunikation der IBA in diesem Punkt erscheint allerdings nicht konsistent. Immer wieder tauchen nämlich Zitate von Repräsenanten der IBA auf, in denen von erhöhten Testosteronwerten die Rede ist.
Gemäss der ersten IBA-Kommunikation wurden die Ergebnisse in «einem separaten und anerkennten Test, dessen Spezifika vertraulich gehandhabt würden» erhoben. In einer ergänzenden Kommunikation am 5. August 2024 ist dann explizit von «Bluttests» die Rede. Die IBA führt an diesem Tag eine Medienkonferenz durch und veröffentlicht noch einmal ein ausführliches Statement, in dem es den Ablauf rund um die Disqualifikation detaillierter schildert. Die konkreten Testergebnisse der beiden Athletinnen werden weiterhin mit Verweis auf die Persönlichkeitsrechte nicht publiziert, aber mit Nachdruck darauf verwiesen, dass die Tests dem IOC zugestellt worden waren. Auch das Faksimilie einer IOC-Empfangsbestätigung geistert in den Social Media herum, in welcher der IOC-Vertreter darum bittet, die Einverständniserklärungen der Athletinnen für die Durchführung dieser Tests nachzureichen.
Figure 1 from “Divergence in Timing and Magnitude of Testosterone Levels Between Male and Female Youths” by Senefeld, Coleman, Johnson et al. JAMA, 7 July 2020.
Die Grafik zeigt, dass die Wertebereiche von Testosteron von jungen Männern und Frauen sich nicht überlappen, sondern zwischen auch zwischen hohen weiblichen und tiefen männlichen Testosteronwerten noch eine imense Differenz liegt.
Vgl. zu diesem Thema: https://quillette.com/2024/08/03/xy-athletes-in-womens-olympic-boxing-paris-2024-controversy-explained-khelif-yu-ting/
Die Tatsachen kommen scheibchenweise ans Licht
Schon zwei Tage zuvor war ein Artikel des amerikanischen Fach-Journalisten Alan Abrahamson auf 3wiresports.com deutlicher geworden. Er schreibt dort am 3. August 2024, es lege ihm ein Schreiben der IBA vom 5. Juni 2023 vor, indem der Box-Verband das IOC über die Testresultate von Khelif informiert habe – dabei sei es explizit ausschliesslich um Khelif und nicht um Yu-Ting gegangen.
Die Testresultate des Labors hätten diesem Schreiben beigelegen und in dem Schreiben sei auch explizit darauf Bezug genommen worden, dass die IBA Boxerinnen über den weiblichen Chromosomensatz XX definiere.
Abrahamson beschreibt auch, wie die IFA bei den Weltmeisterschaften in Jahr 2022 in Istanbul zum ersten Mal Tests durchgeführt hatte, die bereits zu denselben Resultaten gekommen, damals aber noch ohne Konsequenzen geblieben waren. Der Grund?
Die Resultate waren erst im Nachgang des Wettbewerbs eingegangen. Die neuen Tests im März 2023 bestätigten die Resultate. Vermutlich hatte sich die IBA aber tatsächlich auf dünnem Eis bewegt.
Die oben bereits zitierten Reglemente, die vorsehen, dass nur Trägerinnen des XX-Chromosomensatzen bei Frauenturnieren boxen können, und dass der Verband Tests durchführen kann, um dieses Kritierum zu überprüfen, wurden erst im Mai 2023 und damit nach der Disqualifikation der beiden Athletinnen eingefügt.
Das ist insofern nachvollziehbar, als in dem Vorstandsprotokoll der IBA nachzulesen ist, dass ein Vorstandsmitglied dort gefordert hatte, dass die Regeln für die Frauenwettbewerbe genauer gefasst würden.
Nicht uninteressant dürfte dabei auch eine weitere Information der IBA sein, die sie aber nicht weiter kontextualisiert. Der Weltverband hält an mehreren Stellen fest, dass weder Lin Yu-Ting noch Imane Khelif den Entscheid der IBA an ein Sportgericht weitergezogen hätten, obwohl sie dieses Rechtsmittel gehabt hätten. Und das macht aus taktischer Sicht für die beiden Sportler durchaus Sinn. Warum?
IBA und IOC liegen sich seit langem in den Haaren
Als die beiden Sportlerinnen disqualifiziert worden waren, lagen die IBA und das IOC bereits über Kreuz. Das IOC hatte den IBA als Fachverband schon 2019 nicht mehr anerkannt und auch nicht mehr mit der Durchführung des Boxturniers an den Olympischen Spielen in Paris betraut.
Die Zulassungskriterien für Paris sahen keine Überprüfung des Geschlechts vor, was 2023 bereits bekannt war. – Die beiden Athletinnen, oder Athleten, konnten also davon ausgehen, dass sie in Paris würden teilnehmen können. Ob das IOC daran hätte festhalten können, falls das Sportgericht zum Schluss gekommen wäre, die beiden seien als Männer nicht im Frauenturnier teilnahmeberechtigt gewesen?
Andere Sportler, beispielsweise die Transsexuelle Schwimmerin Lia Thomas, hatte gegen die Suspendierung des Schwimmverbandes am Internationalen Sportgericht geklagt, war mit ihrer Beschwerde aber abgewiesen worden und wurde deshalb für den Frauenwettbewerb in Paris dieses Jahr nicht zugelassen.
Als Grund für den Streit zwischen IOC und dem Boxverband gab das IOC an, die Finanzierung sei intransparent, Governance und Kultur mangelhaft. Dem Verband wurde in der Vergangenheit Korruption vorgeworfen, Hintergrund dieser Anschuldigungen dürfte aber auch sein, dass IBA-Verbandspräsident Umar Kremlev dem russischen Präsidenten nahesteht. Der Verband hatte beispielsweise 2023 trotz des Kriegs in der Ukraine bei der Weltmeisterschaft auch russische Athleten zugelassen, was zu Protesten verschiedener Landesverbände geführt hatte. Einer der Hauptsponsoren des Verbandes ist zudem der russische Gazprom Konzern. In den klassischen wie in Social Media Posts wird immer wieder darauf aufmerksam gemacht, die IBA sei ein Instrument Putins.
Das alles bringt eine zusätzliche und politische Dimension ein, ist doch bekannt, dass man im Kreml und in Russland nur den Kopf schüttelt über den westlichen Wokeismus mitsamt der von immer mehr westlichen Regierungen propagierten Gender-Selbstbestimmungs- und Queerpolitik. Dem IOC, das sich voll auf dieser Linie bewegt, musste es deshalb ein Dorn im Auge sein, dass die IBA die biologische Geschlechterfrage als Zulassungskriterium aufbrachte.
Inwieweit der Ausschluss des IBA von Olympia mehr politisch bedingt und als zusätzliche Front gegen Russland zu betrachten als sachlich gerechtfertigt ist, lässt sich am Ende aber nur schwer beurteilen.
Immerhin wehrte sich der IBA gegen den Ausschluss und gelangte ans Internationale Sportgericht in Lausanne, wo die IBA allerdings unterlag. Das Urteil CAS2023/A/9757 ist öffentlich zugänglich und umfasst 120 Seiten. Erledigt ist die Sache allerdings noch nicht: Die IBA hat den Fall weitergezogen. Gleichzeitig nützt auch die IBA die aktuelle Krise an den Olympischen Spielen nach besten Kräften, um Stimmung gegen das IOC zu machen: Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass IBA-Repräsentanten in der Öffentlichkeit auftreten und das IOC vorführen.
Bekannt ist auch, dass das IOC sich bemüht, eine Partnerschaft mit einem Konkurrenzverband zum IBA einzugehen.
Wold Boxing als neuer Weltverband
Seit November 2023 ist die «Word Boxing» dabei, sich in aller Eile aufzustellen, um als neuer Weltverband die Durchführung der olympischen Boxturniere zu übernehmen. Interessant: World Boxing hat in ihren vielen Governance Dokumenten auch ein explizites Dokument zum Thema «Gender Equality and inclusion». Darin findet sich aber ausschliesslich BlaBla, eine konkrete Aussage dazu, welche Teilnahmebedingungen eine Person erfüllen muss, um bei den Frauenwettbewerben mitmachen zu können, macht das Dokument nicht – sondern verweist unter dem Kapitel «Transgender Rules» lediglich auf die «Medical Rules», die aber auf der ganzen Internetpräsenz nirgends zu finden sind.
Abgesehen davon, dass es bei dem konkreten Fall um Khelif und Yu-Ting nicht um Transgender, sondern um Fälle von Intersexualität geht, zeigen die Dokumente von World Boxing, dass man sich dort des Themas bisher genau so wenig angenommen hat wie das IOC. Kein Wunder, hat der Präsident von World Boxing, der Niederländer Boris van der Vorst, das IOC in einer Stellungnahme in Schutz genommen.
Und noch ein Player enthüllt Unglaubliches
Brisanter war dafür die Stellungnahme eines anderen Verbandsfunktionärs: Der Präsident der Europäischen Word Boxing Organization, der Ungare István Kovács, soll gemäss einem Bericht des Internetportals REDUXXin der ungarischen Presse ausgesagt haben, dass er das IOC schon 2022 darauf aufmerksam gemacht habe, dass mehrere biologische Männer bei den Frauenwettbewerben mitmachen würden. Er habe bis heute keine Antwort des IOC erhalten. Diese Aussage vom 2. August 2022 wird später in dem Statement der IBA vom 5. August bestätigt.
Kovács war zu diesem Zeitpunkt Generalsekretär bei der IBA. Stimmen die Aussagen des Funktionärs, wussten also sowohl das IOC wie auch die IBA schon seit 2022 um die Situation. Die IBA hat ein Jahr lang einfach zugesehen, das IOC hat sich der Situation bis heute nicht angenommen.
Nur: So brisant die Aussagen von Kovács sind, auch sie stehen in einem Kontext. Er machte die Äusserungen nämlich unmittelbar vor dem nächsten Fight von Khelif, die im Viertelfinale auf Anna Luca Hamori trifft. Und die lebt, wie Kovács, in Ungarn. Andererseits hatte István Kovács die IBA nach nur fünf Viertel Jahren als Generalsekretär «im gegenseitigen Einvernehmen» schon im Sommer 2022 wieder verlassen. Das spricht eher für einen erzwungenen Abgang – und gleichwohl stützt Kovács Aussage die Position der IBA in dieser Angelegenheit.
Eine weitere Dimension bildet die medizinische Seite. Sie wird von der Forscherin Carole Hooven in mehreren ausführlichen Posts auf X (Twitter) hervorragend beleuchtet. Carole Hooven war Forscherin an der renommierten HarvardUniversity in den USA, hat ihre Arbeitsstätte aber verlassen, weil sie sich der dortigen Cancel Culture nicht mehr länger aussetzen wollte.
Hooven hat ein wissenschaftliches Buch («The story of Testosteron») über die Implikationen von Testosteron geschrieben und kennt den aktuellen Forschungsstand zu der vorliegenden Problematik. Die nachfolgende Zusammenfassung gibt ihre (englischsprachigen) Ausführungen verkürzt wieder.
Hoover räumt ein, dass sie keine klinischen Befunde zu den beiden Athleten habe, schildert aber ein medizinisches Phänomen, das auf den Fall zu passen scheint. Demzufolge ist bekannt, dass es Träger von XY-Chromosomen (also «biologische Männer») gebe, die an einer DSD leiden – einer Störung der geschlechtlichen Entwicklung («Disorder of Sex Development»). Das seien Männer, die Hoden hätten, wenn auch unter Umständen nicht sichtbar im Körperinneren.
Durch die Hoden hätten sie auch entsprechend hohe (männliche) Testosteron-Werte. Wenn aber z.B. ein «5-alpha reductase deficiency» (5-ARD) vorliege, würden Babys, wenn sie auf die Welt kämen, aufgrund ihrer äusseren Geschlechtsmerkmale durchaus als Mädchen angesehen und entsprechend sozialisiert.
Der 5-ARD-Gendefekt würde dabei dafür sorgen, dass die Umwandlung von Testosteron in DHT unterbunden würde – DHT ist für die Entwicklung der primären Geschlechtsmerkmale «zuständig».
Menschen mit dieser genetischen Anlage würden deshalb oft als Mädchen aufwachsen, in der Pubertät würde das ansteigende Testosteron dann aber gleichwohl dafür sorgen, dass sie plötzlich männliche Züge entwickelten. Oft, wenn überhaupt, würde das 5-ARD-Syndrom auch erst zu diesem Zeitpunkt erkannt. Medizinisch ausgewiesen ist hingegen, dass diese – verkannten – Männer sehr wohl eine männliche Pubertät durchlaufen und dadurch auch die im Sport relevanten körperlichen Vorteile eines männlichen Athleten ausformen.
Hoovens Erläuterungen sind gut geeignet, die Vorgänge rund um die Boxerinnen zu erklären – wenn man die Hypothese aufstellt, dass die beiden Athletinnen in Tat und Wahrheit tatsächlich über den männlichen XY-Chromosomensatz verfügen.
Genau eine Bestätigung für diese Information fehlt indes. Imane Khelif behauptet zwar auf ihrer X(Twitter)-Seite, sie habe XX-Chromosomen. Einen Beleg dafür bringt sie allerdings nicht bei, obwohl sie damit die Kontroverse natürlich ziemlich rasch beenden könnte und gemäss Aussagen der IBA auch selbst über die Testresultate verfüge.
Die Medienlage: delikat
Die bisherigen Ausführungen zur Lage deuten bereits auf einen äusserst komplexen Sachverhalt. Dazu kommen die medialen und politischen Implikationen. Der Boxkampf zwischen Carini und Khelif hat weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Die Social Media-Plattformen X und TikTok quellen über, erwartungsgemäss sind viele Posts nicht sonderlich differenziert, dafür umso polemischer: Auf der einen Seite beklagen die Kritiker der gesamten Gender-Debatte, dass der Fall nunmehr aufzeige, wohin das alles führe: «Dass ein Mann auf eine Frau einschlägt wird an den Olympischen Spielen nicht mit Gefängnis bestraft, sondern mit einer Medaille belohnt», heisst es von dieser Seite. Die Gegenseite behauptet, Khelif sei eine CIS-Frau, sei als Frau geboren, habe immer als Frau gelebt und sei einfach die bessere Boxerin gewesen. Es sei unerhört, dass ihre Integrität dergestalt angegriffen werde. Dass für keine der beiden Positionen belastbare Belege vorliegen, vermag die Debatte nicht einzudämmen – im Gegenteil.
Aber nicht nur an der Basis rumorts. Auch die Prominenz meldet sich zu Wort: Die italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni spricht von einem unfairen Kampf und setzt sich für ihre Landsfrau ein. Die Harry Potter-Autorin und Kritikerin des Transgender-Aktivismus Joanne K. Rowling wehrt sich für die Rechte und den Schutz der biologischen Frauen. Die UN-Beauftrage gegen Gewalt an Frauen und Kindern meint, das IOC müsse über die Bücher, Elon Musk retweeted Posts, die den Untergang des Abendlandes kommen sehen. Donald Trump findet: «Hält Männer von Frauenwettbewerben fern.» Amnesty dafür schlägt sich auf die Seite der Algererin.
Die klassischen Medien reagieren unterschiedlich. BLICK und BILD kommentieren anfangs die Kämpfe als unfair, halten sich anschliessend allerdings mit ihrer Berichterstattung auffallend zurück. 20MINUTEN passt seine Berichterstattung über die Zeit an: In den ersten Artikeln fährt die Redaktion vollkommen die «woke Schiene» – und kassiert dafür rekordschlechte Qualitätswerte durch das Publikum. Die Zeitung wird daraufhin mit den Wertungen zurückhaltender, bevor sie dann wieder auf die alte Schiene zurückkehrt. Die Zeitung
Aber auch andere Publikationen verfallen vollkommen einer Seite, als Beispiel dafür sei auf einen Text der VOGUE verwiesen (erstmals erschienen, interessanterweise, in der italienischen Ausgabe). Der Text schlägt sich vollständig auf die Seite der algerischen Athletin, obwohl die Kontroverse ja erst durch den Kampf gegen eine italienische Boxerin so richtig aufgekommen war.
Darauf, dass belastbare Belege aktuell schlicht nicht vorliegen, verweisen nur wenige Medienbericht. Dafür werden auf beiden Seiten teilweise absurde Argumente angeführt – beispielsweise, wenn das deutsche Portal NIUS die grosse Story darin wittert, dass das Geburtszertifikat, das Khalefs weibliches Geschlecht ausweist, ein Datum aus dem Jahr 2018 trägt. Dass Geburtszertifikate manchmal nachträglich bei den Behörden bestellt werden, aus den bei der Geburt eingetragenen Daten des Zivilstandsregisters ausgelesen und dann in ein Zertifikat eingepflegt werden, das dann auch das aktuelle Datum trägt, scheint den Machern von NIUS unbekannt zu sein – und die These, der algerische Staat hätte hier die Fakten gefakt, um im Boxen an eine Medaille zu kommen, erscheint ohne weiteren Beleg dann doch etwas sehr steil.
Gleichwohl: Die Berichterstattung zeigt ein typisches Phänomen: Wenn die Informationslücken von denjenigen, die direkt involviert sind, nicht gefüllt werden, dann schiessen Gerüchte und Spekulationen ins Kraut. Ein bekanntes Phänomen in allen Krisenlage.
IOC: Kein Krisenmanagement?
Die Thematik der verschiedenen Geschlechteridentitäten ist auch beim IOC durchaus angekommen. Im November 2021 publizierte das Komitee ein Positionspapier zu «Fairness, Inklusion und Nicht-Diskriminierung auf der Basis von Genderidentität und Geschlechtsvarianten». Dem Papier vorausgegangen sei eine zweijährige Konsultationsphase mit über 250 Athleten und anderen Stakeholdern. Eine Zusammenfassung findet sich hier.
Das Positionspapier, als «Rahmen» definiert, weist die Verantwortung für die Zugangsbestimmungen zu den Wettbewerben primär den einzelnen Sportverbänden zu. – Mit dem Argument, dass es keine Kriterien gebe, die geeignet seien, über alle Sportarten hinweg Fairness herzustellen. Deshalb stellt das IOC einfach 9 Kriterien (mit weiteren Unterkriterien) auf, welche von den Verbänden in ihren Disziplinen zu berücksichtigen seien.
Nur: Die Vorgaben widersprechen sich zum Teil heftig und atmen den Geist einer Wokeness, die es allen recht machen will und die schlicht nicht zu erfüllen sind.
Beispiele gefällig? In Punkt 3 geht es um Zulassungskriterien:
In Punkt 3.3 heisst es: Kriterien, um unverhältnismässige Wettbewerbsvorteile zu bestimmen, können Tests der Leistungsfähigkeit oder körperlichen Kapazitäten eines Athleten vorsehen. Kein Athlet soll aber Gegenstand eines Tests sein, mit dem das biologische Geschlecht, die Geschlechtsidentität oder auf Geschlechtsvariationen getestet werde.
In Punkt 4.1 heisst es dann wiederum unter «Fairness»: Wenn Sportorganisationen Zulassungsbedingungen für Männer- und Frauenwettkämpfe definieren, dann sollten sie das tun im Hinblick darauf, dass kein Athlet in einer Kategorie unfaire oder unverhältnismässige Wettbewerbsvorteile habe. Gleichzeitig darf aber von einem Athleten auch nicht verlangt werden, dass er in einer Kategorie mit einer anderen Geschlechtsidentität antreten muss als derjenigen, nach der er konsistent und persistent gelebt hatte.
Und so geht es weiter, bis in Punkt 9 dann auch noch festgehalten wird, dass die Persönlichkeitsrechte zu wahren seien und beispielsweise Daten zur Bestimmung, ob eine Person bei den Männern oder Frauen antreten soll, nur mit dem Einverständnis der betreffenden Person erhoben werden dürfen («informed consent»). Entsprechend dürfen auch die Ergebnisse nur mit dem Einverständnis des Athleten öffentlich gemacht werden.
IOC-Krisenkommunikation: Nicht qualifiziert
Die Bewältigung einer Krise geht nicht ohne professionelle Kommunikation. Das IOC hat am Donnerstag, den 1. August 2024 erstmals ein Statement veröffentlicht. Es ist an Unprofessionalität kaum zu überbieten. Warum?
Zunächst hält das Statement fest, dass die Zulassung zum Frauenboxturnier einzig auf der Angabe im Reisepass basiere. Das zeigt bereits, dass das IOC nicht auf der Höhe der Zeit ist und es ihm offenbar entgangen ist, dass verschiedene Staaten in den letzten Jahren dazu übergegangen sind, beim registrierten (und damit auch im Reisepass ausgewiesenen) Geschlecht einzig auf die Selbstdeklaration einer Person abzustellen. Hätte Mike Tyson beispielsweise die schweizerische Staatsbürgerschaft, könnte er sich ohne Weiteres als Frau eintragen lassen, einen entsprechenden Reisepass bestellen und schliesslich am nächsten Olympischen Frauenboxturnier als Michaela teilnehmen. – So und nicht anders muss man auf jeden Fall das Statement des IOC interpretieren. In Deutschland besteht diese Möglichkeit mit der Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes ebenso. Dieses erlaubt es allen in Deutschland, einmal pro Jahr das Geschlecht zu wechseln.
Im Weiteren besteht das Statement des IOC vor allem aus Vorwürfen. Zuerst behauptet das IOC, «man habe Berichte gesehen mit irreführenden Informationen über zwei Athletinnen, die an den Olympischen Spielen 2024 in Paris teilnehmen.» Um dann aufzuzählen, dass die beiden Boxerinnen schon in früheren Jahren an Frauenboxturnieren teilgenommen hätten – was aber auch von niemandem bestritten worden war. Welche Informationen angeblich irreführend gewesen sein sollen, benennt das Statement nicht. Ein Fehler. Wenn Falschinformationen gerügt werden, müssen diese selbstverständlich auch konkret benannt werden.
Dann macht das IOC dem Boxverband IBA massive Vorwürfe: «Die zwei Athletinnen wurden Opfer einer unvermittelten und willkürlichen Entscheidung der IBA. Gegen Ende der IBA Weltmeisterschaft 2023 wurden sie plötzlich und ohne angemessenen Prozess disqualifiziert.»
Mit dieser Kommunikation verstösst das IOC gegen zwei weitere goldene Regeln der Krisenkommunkation: Zuerst: Werfe keinen Dreck auf andere. – Den schwarzen Peter einfach weiterzugeben, wird vom Publikum nicht goutiert. Man mag den Disqualifizierungsprozess, wie ihn die IBA durchgeführt hatte, für problembehaftet betrachten. Gleichwohl: Zum ersten ist es einfach nur peinlich, wenn zwei Weltverbände in der Öffentlichkeit schmutzige Wäsche waschen. Zum zweiten kann auch die Kritik an der IBA nicht zudecken, dass das IOC gemäss dem Statement seit Jahren um die Problematik wusste und insbesondere auch wusste, dass die Disqualifikation der beiden Athletinnen anlässlich der WM in New Delhi keineswegs unvermittelt und willkürlich erfolgte, sondern – immer gemäss den Aussagen der IBA – am Ende eines längeren Prozesses erfolgte, über den das IOC ins Bild gesetzt worden war. Demgegenüber erscheint es, dass das IOC schlicht seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte.
Ins selbe Kapitel geht übrigens auch, dass der Twitter-Account IOC-MEDIA irgendwelche Posts retweetet von Genderbewegten, welche für die Algerierin Position beziehen. Damit wird die Kontroverse zusätzlich angeheizt statt eingedämmt. Komplett absurd.
Weiter schreibt das IOC: «Die aktuelle Aggression gegen die beiden Athletinnen geht einzig auf das unfaire Vorgehen der IBA zurück.» Auch in diesem Satz zeigt sich die Blindheit der Kommunikationsverantwortlichen beim IOC. Nach Tausenden von ausgewerteten Posts in den Social Media für diese Analyse kommt man zum Schluss, dass die Aggressionen eines Grossteils des Publikums nicht gegen die Athletinnen selbst gerichtet sind, sondern gegen das IOC und seine Unfähigkeit, mit dem Thema angemessen umzugehen und faire Wettbewerbsregeln durchzusetzen.
Das hat das IOC aber ganz offensichtlich verpasst. In einer Medienkonferenz wies IOC-Sprecher Mark Adams auf die Komplexität des Themas hin und dass deshalb gemäss dem Framework die einzelnen Sportverbände die Regeln definieren müssten. Diese Botschaft ist nachvollziehbar. Heisst im Umkehrschluss aber natürlich auch: Wenn das IOC das Boxturnier selbst veranstaltet und die IBA als Fachverband suspendiert, dann ist es am IOC, diese Fragen zu regeln. Aussagen von Adams wie «Sie wurde als Frau geboren, lebt als Frau, boxt als Frau und ist nach ihrem Pass eine Frau» sind da schlicht zu dünn. Nicht mehr nachvollziehbar hingegen ist seine Aussage: «Da geht es nicht um einen Mann, der gegen eine Frau kämpft. Darin ist sich die Wissenschaft einig.» – Offensichtlich ist das schiere Gegenteil der Fall, wie auch Alex Oller auf insidethegames.biz schreibt.
Der IOC-Präsident macht alles noch schlimmer
Weil sich die Kontroverse durch das unprofessionelle Kommunikationsverhalten des IOC noch weiter ausbreitete, sah sich schliesslich IOC-Präsident Thomas Bach bemüssigt, in die Debatte einzugreifen. An einer Medienkonferenz wiederholte er zunächst die Aussagen von Adams: «Wir reden hier von zwei Frauen, die als Frauen geboren wurden, die als Frauen aufgewachsen sind, die in ihrem Pass als Frauen eingetragen sind und die viele Jahre als Frauen geboxt haben. Und das ist die klare Definition einer Frau.»
Mit dieser unglaublich unbedachten Aussage triggerte Bach selbstredend gleich noch einmal: Zum einen alle Feministinnen, die sich darüber aufregen, dass hier ein alter weisser Mann zu definieren versucht, was eine Frau ist. Zum anderen alle Wissenschafter in dem Gebiet, für die die Frauen-Definition von Bach einfach nur grotesk anmuten muss.
Auch die nächste Aussage von Bach muss für diese Experten wie ein Hohn klingen: «Was wir hier sehen ist, dass einige die Deutungshoheit darüber besitzen wollen, was eine Frau ist. Ihnen kann ich nur sagen, melden sie sich, wenn sie eine wissenschaftlich basierte Aussage dazu treffen können, wer eine Frau ist. Und wie eine Frau, die als Frau geboren, aufgewachsen und mit einem weiblichen Geschlechtseintrag im Pass versehen ist, nicht als Frau betrachtet werden kann.» – Nun, wie unser Abschnitt über die medizinischen Aspekte zeigt, gibt es klare wissenschaftliche Aussagen dazu. Man müsste sich von Seiten des IOCs lediglich darum bemühen und sie zur Kenntnis nehmen.
Im Weiteren war sich auch Bach nicht zu schade, gegen die IBA und Russland zu schiessen und sie einer Diffamierungskampagne zu beschuldigen. Bach sieht einen «Kulturkrieg», an dem sich das IOC nicht beteiligen werde. Dass es das IOC selbst war, das diesen «Kulturkrieg» ausgelöst hat, scheint ihm nicht bewusst zu sein, oder er verdrängt es.
Zum Höhepunkt setzte Bach allerdings an, als er sagte:
«Das hier ist kein DSD-Fall, sondern der Fall einer Frau, die an einem Frauen-Wettbewerb teilnimmt.» Mit diesem Statement schliesst Bach aus, dass es sich bei Khelif um einen männlichen Athleten mit einer Störung der Geschlechtsentwicklung handelt.
Falls diese Aussage korrekt gewesen wäre und das IOC einen entsprechenden wissenschaftlichen Beleg dafür hätte – beispielsweise einen DNA-Test, der das XX-Chromosomenpaar bei der Athletin bestätigt, hätte das wohl die gesamte Debatte beendet – und man hätte sich höchstens noch fragen müssen, warum das IOC diese Information so lange zurückgehalten hatte.
Wenige Minuten später folgt dann aber das Unsägliche: Das IOC korrigiert die Aussage Bachs. Er habe nicht sagen wollen, das wäre kein DSD-Case, sondern es wäre kein Transgender-Case. Und dieses Korrigendum kann jetzt wiederum nicht anders interpretieren lassen als: Es ist ein DSD-Case. – Sonst wäre die Korrektur nicht nötig gewesen.
Damit hat der IOC-Präsident alle seine vorangegangenen ausschweifenden Ausführungen selbst widerlegt. Er hat damit jeden Rest an Glaubwürdigkeit verloren und eigentlich nur noch eine Möglichkeit: So schnell als möglich zurückzutreten.
Fazit
Was sind die Lehren aus dem Fall für jede andere Organisation, die ihr Krisenmanagement professionell aufstellen will?
- Risiken nicht verschleppen, sondern angehen
Wie so häufig, hat sich diese Krise angeschlichen. Gemäss den vorliegenden Informationen hatte das IOC schon 2022 Informationen darüber, dass biologische Männer an Frauenbox-Turnieren teilnehmen, mit der Disqualifikation von 2023 durch die IBA war klar ausgewiesen, dass hier ein Issue vorliegt, an dem das IOC nicht vorbeikommt, wenn es an den Spielen in Paris das Boxturnier selbst organisiert. Das IOC ist das Problem so lange nicht angegangen, bis es ihr um die Ohren flog.
- Nicht zu Ende gedachte Policies
Das IOC-Framework zur Inklusion ist untauglich und nicht zu Ende gedacht. Es ist das typische Ergebnis davon, dass man es aufgrund fehlender Leadership allen recht machen möchte und nicht sieht, welche Konsequenzen daraus folgen. Wir erleben gerade im Bereich der Reglemente und Policies zur Wahrung der sexuellen Integrität immer noch häufig, dass die Konzepte nur an-, aber nicht zu Ende gedacht sind. Empfehlung: Es hilft, fiktive, aber konkretisierte Fällen einmal durchzuspielen, um zu sehen, ob die Konzepte in der Praxis taugen oder nicht.
Konkret erweist sich die aktuelle Politik des IOC, aus Schutz der Persönlichkeit von Betroffenen auf Geschlechtstests zu verzichten, als praxisuntauglich. Die Olmypische Bewegung muss sich entscheiden: Entweder priorisiert sie faire Spiele, bei denen für die Athletinnen Chancengleichheit gilt. Oder sie stellt die Inklusion von Intersexuellen vor die Fairness (wie sie es aktuell auch tut, nur ohne dass sie den Mut hätte, sich auch offiziell dazu zu bekennen).
- Leadership in der Krise – fehlendes Krisenmanagement
Führung in der Krise verlangt Souveranität. Das gesamte Krisenmanagement des IOC ist geprägt von der Auseinandersetzung mit der IBA. Bis hin zum Präsidenten scheinen die Emotionen dem Verstand im Wege zu stehen und eine nüchterne Sicht zu verstellen – nicht nur auf den Sachverhalt, sondern auch auf das eigene Versagen.
Ein erfolgreiches Krisenmanagement erfordert einen Krisenmanagementprozess mit einem Krisenstab, einem etablierten Stabsarbeitsprozess und der dafür notwendigen Infrastruktur. Nichts an der Krisenbewältigung des IOC deutet darauf hin, dass nach den etablierten Krisenmanagement-Standards gearbeitet wird. Das ist dann besonders peinlich, wenn die Organisation anderen Verbänden Verstösse gegen Governance-Prinzipien vorwirft – und sie selbst auch nicht beherrscht.
Gegen den Tunnelblick, in dem das IOC gefangen scheint, hilft häufig eine Aussensicht. Sprich: Berater und Experten, die nicht in eine lange Vorgeschichte verstrickt sind, sondern eine nüchterne und sachliche Lagebeurteilung vornehmen können.
- Hinstehen in der Kommunikation
Sind die richtigen Massnahmen gesetzt, gilt es diese zu kommunizieren. Lösungsorientiert, zukunftsgerichtet, wertebasiert. In der Kommunikation steht die eigene Rolle im Zentrum. Nicht die anderer Player. Schon gar nicht geziemt es sich, gegen andere zu schiessen. Das ist schlicht schlechter Stil und wird fast immer zum Bumerang. Fingerpointing auf andere funktioniert nur «off the record», sprich: indem im Hintergrund gezielt Informationen an Personen herangetragen werden, welche diese dann in die Öffentlichkeit tragen.
- Ernst der Lage erkennen
Die Kommunikation in Krisenlagen erfordert höchste Konzentration. Einfach mal ein bisschen darauflosplaudern, wie IOC-Präsident Bach das tut, geht gar nicht. Das Risiko, etwas Unbesonnenes zu sagen, ist viel zu gross. Wie der Fall ja auch beweist. Eine professionelle Vorbereitung ist deshalb das A&O. Dazu gehört auch, dass die Leistungsträger, die kommunizieren müssen, körperlich und geistig absolut fit sind und keine Ermüdungserscheinungen zeigen.
by Patrick Senn | 30.05.2024 | Krisenkommunikation, News
Der
Streisand-Effekt
Es gibt diese Wahrheiten, die eigentlich bekannt sind, aber in den entscheidenden Momenten einfach ignoriert werden. Zum grossen Schaden der Betroffenen. Wir erleben das aktuell im Deutschsprachigen Raum gleich mehrfach.
Die Rede ist vom sogenannten Streisand-Effekt. Benannt nach der US-amerikanischen Entertainerin Barbara Streisand. Die hatte sich 2003 sehr über den Fotografen Kenneth Adleman und die Fotoplattform Pictopia.com geärgert. Diese hatten nämlich eine Reihe von Luftaufnahmen der amerikanischen Westküste geschossen und im Internet veröffentlicht. Auf einer der Aufnahme war das Anwesen von Barbara Streisand zu sehen.
Erbost über die Veröffentlichung, klagte Streisand gegen den Fotografen und die Plattform und verlangte USD 50 Mio. Blöd nur: Dass das Bild Streisands Anwesen zeigte, war bis dahin völlig unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung geblieben. Durch die Klage wurde das Bild dann Gegenstand medialer Berichterstattung und im Internet so lange tausendfach geteilt, bis schliesslich jeder wusste, dass es sich um die Villa von Streisand handelte.
Der Fall ging als «Streisand-Effekt» in die Geschichte ein und ist ein gutes Beispiel dafür, dass es manchmal besser ist, den Ball flach zu halten, als sich öffentlichkeitswirksam zu wehren und damit eine Skandalisierung weiter anzuheizen.
Trotz dem Wissen um diesen Effekt geschieht in der Praxis allerdings regelmässig, dass Personen mit juristischen oder kommunikativen Massnahmen weit über das Ziel hinaus schiessen und damit die Eskalation erst recht in Gang setzen. Drei aktuelle Beispiele:
Rassismus-Skandal oder Geschmacklosigkeit im Vollsuff?
Genau ein solcher Streisand-Effekt entwickelt sich im Mai 2024 in Deutschland. Eine bewegte Influencerin hatte auf X ein Video gepostet, auf dem betrunkene Jugendliche oder junge Erwachsene zum Song «L’ amour toujours» von DJ Gigi D’ Agostino die Parole «Deutschland den Deutschen, Ausländer raus» grölten. Die unverpixelten Bilder entwickelten ein Eigenleben.
Die deutsche Mainstream-Presse schoss sich darauf ein, sogar öffentlich-rechtliche Sender wie der WDR waren sich nicht zu blöde, die Bilder unverpixelt zu senden, Bundeskanzler Scholz kommentierte der Vorfall und alle links-grün-Bewegten malten ein Bild, als ob der einfach nur peinliche Vorfall in einem Sylter Club den Beginn eines neuen National-sozialistischen Regimes in Deutschland anzeigen würde. Flugs hiess es, der Song würde an öffentlichen Anlässen wie der Europameisterschaft oder dem Oktoberfest (Das Ende September startet…) verboten. Auf TikTok berichten User, auf Spotify würde allen in Deutschland, die den Song spielen wollen, ein Warnhinweis eingeblendet, dieser Song sei gerade von Rechtsextremisten gekapert worden (Der Vorgang liess sich in der Schweiz nicht nachvollziehen, hier erfolgt kein solcher Einblender).
Resultat? Der Song feiert innerhalb von Stunden bei allen, die mit den aktuellen politischen Verhältnissen in Deutschland unzufrieden sind, fröhliche Urständ und wird zur Protest-Hymne. Unsere Prognose: «L’ amour toujours» ist damit als Sommerhit gesetzt. Dabei hätten es die Deutschen wissen können: Vor einem Jahr reagierten die Dauer-Empörten auf den Song «Layla», in der eine «junge schöne geile» Puffmutter besungen wird. Statt den Song zu ignorieren und ihm damit eine kurze Halbwertszeit zu bescheren, lancierte die Woke-Bewegung eine breite Sexismus-Debatte – und der Song wurde zum Multi-Millionenhit.
Schweizer Richterin lässt kritischen Zeitungsartikel verbieten
In der Schweiz ist die Grünen-Richterin Simone Nabholz vom Zürcher Arbeitsgericht auf den Streisand-Effekt hereingefallen. Entweder von ihrem Medienanwalt schlecht beraten oder selbst beratungsresistent, hat sie gegen einen Zeitungsartikel der WELTWOCHE eine superprovisorische Verfügung verlangt. Und von einer Richterkollegin am Bezirksgericht Meilen prompt recht erhalten.
In dem Zeitungsartikel wurde darüber berichtet, wie sie in der Verhandlungspause schlecht über einen rechtsuchenden Arbeitnehmer und dessen Anwalt geredet hatte und mutmasslich schwer voreingenommen war. Der Arbeitnehmer hatte das Gespräch vermutlich widerrechtlich aufgezeichnet und Nabholz sowie mehrere Zürcher Gerichte bedrohten die Medien, eine Verbreitung von illegalen Aufzeichnungen sei strafbar – was so sakrosankt offenbar nicht gilt, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte sich in der Vergangenheit zumindest schon kritisch über die rigorose Schweizer Gerichtspraxis hinweggesetzt und Urteile aufgehoben.
Statt dass sich Richterin Nabholz in der Zeitung erklärt und entschuldigt hätte, ging sie auf Konfrontationskurs und schaffte es, dass die Geschichte auch noch im TAGES-ANZEIGER, in der SONNTAGSZEITUNG, der WOZ und auf INSIDE-JUSTIZ.CH zum Teil ausführlich breitgetreten wurde. Die Sache dürfte zudem noch nicht ausgestanden sein, hatte die WELTWOCHE doch bereits angekündigt, gegen das richterliche Publikationsverbot vorgehen und sich wehren zu wollen.
Der vermeintliche Coup der Richterin erweist sich damit als Schuss ins eigene Bein. Sie hat nicht nur eine Debatte über die Arbeitsethik der Schweizer Richterinnen und Richter ausgelöst, sondern sich selbst die Karriere wohl für alle Zeiten verbaut.
Österreichs Skandal um «LÜGEN-LENA»
Aber auch Österreich hat seinen Skandal mit Streisand-Effekt. Die Alpen-Republik erlebt im Mai 2024 einen ihrer grösseren Politskandale, seit die Grünen-Spitzenkandidatin Lena Schilling von der linksliberalen Tageszeitung DER STANDARD allerlei Intrigen und falscher Beschuldigungen über sexuelle Belästigungen bezichtigt wird. Schilling soll Poltikerinnen und Poltikern Affären mit Journalisten angehängt haben. Und selbst mit Journalisten angebandelt und sich dann beschwert haben, von diesen belästigt worden zu sein.
Die Spitze der Grünen Partei reagierte auf die offensichtlich gut abgestützte Recherche der Zeitung mit einer kategorischen Verweigerung gegenüber den Vorwürfen Stellung zu nehmen und der Behauptung, es handle sich um eine «Schmutzkübelkampagne» (so nennen die Österreicher eine Schmutzkampagne). Parteipräsident und Vize-Kanzler Werner Kogler sprach an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz hochemotional von einem «anonymem Gemurkse und Gefurze», später musste er sich für die Wortwahl entschuldigen und räumte ein, das sei «unintelligent» gewesen.
Andere Spitzenpolitikerinnen der Grünen versuchten, die durchaus schwerwiegenden Vorwürfe auf die Sexismus-Schiene zu schieben («über einen Mann hätte man einen solchen Artikel nicht geschrieben») oder als «Privatsache» abzutun. Eine Haltung, die in ganz Österreich so ziemlich niemand teilt.
Resultat: Die Affäre wurde grösser und grösser, weitere Kronzeugen der Anklage meldeten sich. Tage später wurde bekannt, Schilling habe damit geliebäugelt, nach der Wahl zur Linkspartei überzulaufen. Und unterdessen wird im gesamten deutschsprachigen Raum über das «Gossip Girl» berichtet. – Dabei ist allen klar: Hätte Schilling gleich zu Beginn Fehler eingeräumt und Besserung gelobt, die Sache wäre zumindest niemals so gross geworden.
Warum immer wieder?
Stellt sich die Frage: Warum fallen Personen im öffentlichen Leben immer wieder auf den Streisand-Effekt herein und ergreifen hektisch Massnahmen, die kontraproduktiv sind, statt einfach nur «zielorientiert nichts zu tun», wie ein Kollege in solchen Situationen zu sagen pflegt?
1. Keine Distanz
in der eigenen Sache
Wir wissen aus eigenen Mandantenfällen: Der Druck auf eine Person, die öffentlich und medial am Pranger steht, ist riesig. Die Situation wird meist als ungerecht empfunden, weil die Betroffenen sich keiner Schuld bewusst sind oder sonst zumindest die Verhältnismässigkeit als völlig aus dem Ruder gelaufen empfinden – oft durchaus auch zurecht. Der Druck, der ganzen Welt erklären zu wollen, dass die Situation in Wirklichkeit eine ganz andere war, kann kaum nachvollziehen, wer es nie selbst erlebt hat. Hier sind Vertrauenspersonen gefragt, die den Direktbetroffenen helfen, Distanz aufzubauen zu dem Ereignis, das sie so belastet oder traumatisiert.
2. Die falschen Berater
Anwälte und auch Kommunikationsberater werden nicht fürs Nichtstun bezahlt, sondern dafür, dass sie Rechtsschriften aufsetzen, Klagen einreichen oder Begehren um Massnahmen stellen. Kommunikationsagenturen wollen sich beweisen, indem sie Medienmitteilungen versenden, mit Journalistinnen sprechen, eine Medienkonferenz organisieren. Wohlverstanden: Es kann durchaus angezeigt sein, solche Massnahmen zu treffen und sich der Öffentlichkeit zu stellen, um weiteren Schaden zu verhindern. Zu oft aber wird reflexartig zu allerlei Aktivitäten geraten, die mögilcherweise genau das Gegenteil von zielführend sind und das Feuer nur zusätzlich anfachen.
3. Kein Krisenmanagement
Immer wieder erleben wir Organisationen und Einzelpersonen, die, wenn unter Druck geraten, hektisch und hochemotional hin- und her entscheiden, statt das Ereignis im Rahmen einer sauberen Krisenmanagement-Aufstellung strukturiert anzugehen und abzuarbeiten. Für das Krisenmanagement gibt es etablierte Prozesse wie den Stabsarbeitsprozess, der sich bestens eignet, um mit solchen Situationen umzugehen. Organisationen sind gut beraten, sich in ruhigeren Zeiten einmal mit einem solchen Managementkonzept für die Krise zu befassen, um im Ereignisfall bereit zu sein. Und wer das verpasst hat, dem ist zu empfehlen, im Ereignisfall auf Profis zurückzugreifen, die helfen, einen Krisenfall strukturiert zu begleiten.
by Patrick Senn | 22.03.2024 | Analysen von Medienauftritten, Gesellschaft, Krisenkommunikation, Medienwelt
„Le Bijou“ ist ein Startup Unternehmen, das luxuriöse Wohnungen für Kurzzeitmieten anbietet – und damit den klassischen Hotelsuiten Konkurrenz macht. Die Objekte zeichnen sich durch besonders edles Design und neuste Technologie wie den digitalen Butler aus. – Im Umfeld der Corona-Krise hat „Le Bijou“ damit Schlagzeilen gemacht, dass es seine Apartements im Hochpreis-Segment für eine „Luxus-Quarantäne“ angeboten hat.
Augenkontakt
Der erste Punkt, der an dem Interview auffällt: Hübner hat selten Augenkontakt mit der Journalistin respektive mit der Kamera. Damit erweckt er den Eindruck, dem Blickkontakt ausweichen zu wollen. Die deute Redensart, „er konnte mir nicht in die Augen schauen“, legt schon nahe, wie dieses Verhalten wirkt: Wenig souverän, wenig selbstbewusst.
Dabei ist festzuhalten, dass die Situation der Duplexschaltung, wie wir sie hier haben, tatsächlich eine der schwierigesten Mediensituationen überhaupt ist. Ohne das entsprechende Training ist das Risiko enorm hoch, mit den Augen abzuschweifen, wie es Hübner hier passiert.
Bei einem klassischen Interview, bei dem die Journalistin den Gesprächspartner vor Ort trifft und befragt, ist die Grundregel klar: Der Blick in die Kamera ist dann tabu, der Augenkontakt ganz auf das Gegenüber ausgerichtet.
Diese goldene Regel gilt nur in einer Situation nicht – genau bei dieser sogenannten „Duplex-Schaltung“ oder „Schalte“. Die Interviewerin befindet sich hier nicht direkt bei Ihrem Gesprächsgast, sondern im Sendestudio. Der Interviewpartner ist durch eine technische Verbindung (früher Satellit, heute mehr und mehr über eine der neuen Messender-Apps wie Skype, WhatsApp, Team oder Zoom) zugeschaltet.
Und in dieser Situation gilt nun die Ausnahmeregel, dass der Blick in die Kamera gerichtet sein soll – und möglichst nur dahin. Das ist bisweilen gar nicht einfach und wird deshalb auch in unseren Trainings explizit geübt.
Auch die Haltung ist übrigens wichtig: Anders als bei Face-to-Face Interviews üblich sitzen die Gesprächsgäste bei Schaltungen häufig – und zeigen dabei eine schlechte Körperhaltung. Das kann beispielsweise mit einem Stuhl ohne Rücklehne verbessert werden.
Frage der Journalistin: „Haben Sie verständnis für die Kritik?“
„Nein, diese Leute haben es nicht richtig verstanden.“
Das Empathie-Gebot
Ganz wichtig: Nehmen Sie einen Medienauftritt wahr, um auf Ihr Reputationskonto einzubezahlen. Das verlangt nach Empathie. Wenn die Journalistin Sie fragt, ob es Ihnen egal sei, wenn andere Sie für ihr Geschäftsmodell kritisieren, dann antworten Sie nie mit Ja. Nie, nie, nie. Denn eine solche Aussage wirkt für viele überheblich. Sogar für solche, die sich der Kritik nicht anschliessen und eigentlich auf Ihrer Seite sind.
Seien Sie sich auch bewusst: Sie verkaufen besser, wenn die Dienstleistung oder das Produkt, das Sie anbieten, soziale Akzeptanz hat. Und das schlicht deshalb, weil Sie immer eine Anzahl Kundinnen und Kunden haben werden, die es sich nicht leisten können oder wollen, einen Service zu nutzen, der diskreditiert wird.
Und sogar wenn Sie Ihre Produktion zu 100% ausgelastet haben und gar nicht mehr produzieren und verkaufen könnten: Tappen Sie nie in die Überheblichkeitsfalle.
Aber wie lösen Sie eine solche Situation? Zeigen Sie immer Verständnis für die Kritik. Und gehen Sie anschliessend darauf an.
Und jetzt ist das sprachliche Feingefühl gefragt: mit einer Aussage wie „Die Kritiker haben es nicht verstanden“ greifen Sie nicht nur die Kritiker an, sondern auch all‘ die, welche die Frage für gerechtfertigt halten. Formulieren Sie deshalb in solchen Situationen behutsam.
Zum Beispiel so: „Ich habe schon einige Gespräche dazu geführt mit Kritikern unserer Corona-Offensive. Und immer festgestellt, dass Sie Ihre Kritik zurücknehmen, wenn wir Ihnen beispielsweise klar machen können, dass 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unseren Apartements ihren Lebensunterhalt verdienen müssen.“
Und wenn Ihr Publikum etwas nicht verstanden hat: Greifen Sie es dafür nicht an, sondern üben Sie Selbstkritik: „Wir haben das womöglich zu wenig gut erklärt.“ Oder: „Die Kommunikation war leider etwas verkürzt.“
Vorbereitung ist das halbe Leben
Dasselbe auf die Frage, ob es nicht stossend sei, dass in Zeiten einer solchen Not Personen mit viel Geld eine bevorzugte medizinische Versorgung erhielten. Bei einer solchen Frage sollten Sie zunächst klären: Sie Sie als Hospitaliy-Anbieter die richtige Person, um das einzuschätzen? Vermutlich nicht.
Grenzen Sie deshalb zunächst mal Ihre Kompetenz ab: „Ich bin kein Experte für das Gesundheitssystem.“ Und dann: „Was die Schweiz ja auszeichnet, ist die Tatsache, dass hier jeder Menschen, und wirklich jeder, eine hervorragende medizinische Versorgung erhält. Aber es ist in der Tat so wie in wohl allen freiheitlichen Gesellschaften: Mehr Wohlstand erlaubt gewisse Annehmlichkeiten. Das ist in Krisenzeiten nicht anders als sonst: Als Topverdiener können Sie es sich leisten, Ware liefern zu lassen – ich muss sie mir selbst im Laden holen.“
Auf solche Analysen hören wir oft: „Im Nachhinein sagt sich das natürlich einfach.“ Und diese Aussage ist völlig berechtigt. Deshalb wollen wir das „im Nachhinein“ vor das Interview mit der Journalistin verlegen. Indem Sie als letzten Punkt Ihrer Vorbereitung ein Interview durchspielen, bevor Sie es tatsächlich halten.
Dabei müssen alle kritischen Fragen, die man Ihnen stellen kann, auf den Tisch. Wenn Ihr interne Kommunikations-Abteilung das nicht leisten kann – oder Sie schlicht keine haben – dann bemühen Sie einen externen Anbieter dafür. Das kostet nicht alle Welt, erspart Ihnen aber unerwartete kritische Fragen, auf die Sie nicht vorbereitet sind.
Wir nennen das „Nasty Questions List“. Eine Liste, die Sie unbedingt führen und immer wieder aktualisieren sollten: Jede Branche hat ja gewisse Standard-Vorwürfe immer wieder zu parieren.
by Patrick Senn | 25.01.2019 | Gesellschaft, Krisenkommunikation, Medienwelt, News
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Ein Abstecher in die Gefilde der Unterhaltungsindustrie
Schon wieder ist ein Vorgang der Unterhaltungsindustrie Gegenstand dieser Kolumne. Einfach deshalb, weil das Beispiel mit einer besonderen Deutlichkeit zeigt, wie Personalia NICHT kommuniziert werden sollten.
Mit Datum vom 24. Januar 2019 hat die Miss Schweiz Organisation per Medien-Mitteilung kommuniziert, dass sie „ihre“ Miss Schweiz per sofort freistellt und die bis dahin amtierende Jastina Doreen Riederer weder den Titel „Miss Schweiz“ noch den Titel „Ex-Miss Schweiz“ tragen dürfe. Ganz offensichtlich haben sich die Organisation und die Miss überworfen und werfen jetzt gegenseitig mit Schmutz.
In der Medienmitteilung stehen beispielsweise Dinge wie: „Nach mehreren Verstössen folgten Abmahnungen, welche bereits von der zurückgetretenen Geschäftsführerin sowie der aktuellen Miss Schweiz Organisation ausgesprochen wurden. Ebenso haben Partner deutliche Ermahnungen an die vertraglichen Pflichten der ehemaligen Miss Schweiz ausgesprochen, welche von ihr teilweise weiterhin ignoriert wurden. Die zuletzt mehrere Wochen andauernden Unerreichbarkeiten erschwerte die Zusammenarbeit zusätzlich und verunmöglichten es sogar der Organisation, Frau Riederer die Freistellung im persönlichen Gespräch mitzuteilen. Die möglichen Folgen und damit verbundene Aberkennung des Titels bei weiteren Vertragsverstössen wurden ihr bereits im November 2018 unmissverständlich und schriftlich mitgeteilt. Die Organisation bedauert diesen Schritt, welcher aufgrund der wiederkehrenden Vertragsverletzungen unumgänglich wurde.“
Das ist deutlich, möglicherweise sogar durchaus auch wahr. Einzig: In ein Medien-Communiqué gehört das nicht. Zunächst aus rechtlichen Gründen: Ein Arbeitgeber hat eine Schutzpflicht gegenüber dem Arbeitnehmer und die Persönlichkeitsschutzrechte zu wahren. Aber auch kommunikativ empfiehlt es sich nicht, so vorzugehen, wie das die Miss Schweiz-Organisation tut. Grund: Der David-gegen-Goliath-Effekt.
Und der besagt, dass im Zweifelsfalle die Sympathie des Publikums oft nicht dem Mächtigen und Starken gilt, sondern demjenigen, der sich nicht wehren kann oder als der schwächere Part betrachtet wird. Vorliegend also steht auf der einen Seite eine Organisation in der Form einer Aktiengesellschaft, welche anonym kommuniziert – auf der gesamten Homepage der Organisation ist kein einziger Name einer natürlichen Person zu finden. Erst ein Blick in das Handelsregister offenbart, dass dort die Geschwister Iwan und Andrea Meyer und ein Predrag Ceko als Verwaltungsräte eingetragen sind. Auf der anderen Seite eine 20-jährige Frau, die in der Vergangenheit allerdings auch bereits oft genug negative Schlagzeilen machte. Etwa, nachdem sie eine plastische Operation eingestand (welche eigentlich mit den Teilnahmebedingungen bei einer Miss Schweiz Wahl nicht zu vereinbaren ist), oder einräumen musste, dass ihr schon bewusst sein, dass die Wimpern-Verzierung ihres Autos nicht gestattet sei.
Gleichwohl schlugen sich die Kommentatoren am Tag nach der Enthüllung rasch auf die Seite der jungen Frau. Auf WATSON.CH fand die „Kommunikationsexpertin“ Sonja Buholzer, die Kommunikation sei „dilettantisch“, „gefühllos“ und käme einer medialen Hinrichtung gleich. BLICK.CH befragte Rechtsanwalt Boris Etter, der zum selben Schluss kommt und auch auf die arbeitsrechtliche Problematik aufmerksam macht. Damit aber nicht Schluss. In den Folgetagen äusserte sich die geschasste Miss ausführlich in verschiedenen Medientiteln, etwa auf BLICK.CH, wo sie wenig Schmeichelhaftes über die die Miss Schweiz Organisation erzählte wie beispielsweise, dass sie ihren Lohn auf dem Rechtsweg einklagen und ein von ihr beauftragter Anwalt einen Zahlungsbefehl gegen ihren Arbeitgeber ausstellen liess. Dazu sekundierte Jastina Doreens Mutter, in dem klassischen Boulevard-Form „Jetzt redet die Mutter von…“ im BLICK oder der SCHWEIZER ILLUSTRIERTEN. Die Verantwortlichen der Miss Schweiz Organisation wollten diese Informationen nicht kommentieren und schwiegen, womöglich auch, weil sie unterdessen auf die möglichen Konsequenzen ihres Vorgehens aufmerksam gemacht wurden.
Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit dürfte damit gedreht haben – die Anschuldigungen der Arbeitgeberin werden vollends zum Boomerang.
Nicht alles öffentlich kommentieren
Arbeitskonflikte kommen vor, keine Frage, und es mag genügend Fälle geben, wo die Kritik des Arbeitgebers durchaus berechtigt ist. Besonders stossend wird die Angelegenheit insbesondere, wenn der Arbeitnehmer dann noch proaktiv die Medien instrumentalisiert (oder, auch nicht selten: von einer Gewerkschaft dazu missbracht wird), um seine Sicht der Dinge zu kolportieren und, in der Hoffnung, den David-gegen-Goliath-Effekt nützen zu können, öffentlich gegen seinen Arbeitgeber herzieht.
In solchen Situationen ist es entscheidend, kühlen Kopf zu bewahren und keinesfalls öffentlich schmutzige Wäsche zu waschen. Besser ist es, darauf zu verweisen, dass man schon aus rechtlichen Gründen keine Details zu Arbeitsverhältnissen öffentlich kommentiere. – Um dann anzuschliessen, dass man ganz generell aber davon ausgehen könne, dass man als Arbeitgeber niemanden kündigen oder freistellen würde, wenn es nicht klare Gründe dafür gebe. Und diese Gründe auch bewiesen werden könnten, falls es zu einem Gerichtsfall käme.
Damit ist alles gesagt. Die Interpretation können die Journalistin oder das Publikum selbst machen.
Im vorliegenden Falle kommt ein weiterer Aspekt dazu: Die Amtszeit der Miss wäre eigentlich sowieso in Kürze abgelaufen – zumindest, wenn die Miss Schweiz Organisation in der Lage wäre, rechtzeitig neue „Wahlen“ zu organisieren. Ob es unter diesen Vorzeichen geschickt war, einen Konflikt öffentlich zu machen, der beiden Seiten zu einem Reputationsschaden gereicht, ist mehr als nur zu beweifeln. Hier hätte die alte Grundregel, dass ein Arbeitskonflikt nicht an die Öffentlichkeit gehört, bestimmt zu einem besseren Ergebnis geführt.[/vc_column_text][vc_column_text] [/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]
by Patrick Senn | 09.03.2018 | Krisenkommunikation, Krisenmanagement
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Die Schweizer Post steht seit Wochen am Pranger – seit bekannt wurde, dass bei einer Tochter, der Postauto AG, mit Zahlen getrickst und so zu hohe Subventionen von Bund und Kantonen, möglicherweise auch noch von Gemeinden, eingetrieben wurden. Kommunikativ glänzt die Postführung dabei nicht sonderlich. Das jüngste Debakel: Ein Schreiben, mit dem sich Postauto-Partnerfirmen einer Geheimhaltungsvereinbarung unterwerfen sollen.
Zunächst: Wir sind immer vorsichtig bei Analysen von Krisenkommunikationssituationen. Zu oft sind wichtige Punkte aus dem Lagebild, welche die Kommunikationsstrategie prägen, uns als Publikum nicht bekannt – würden aber nachvollziehbar machen, warum ein bestimmter Weg eingeschlagen wurde.
Manchmal geschehen aber auch Kommunikationsfehler, die sich schlechterdings nicht erklären lassen. Das Verrückte dabei: Es sind immer wieder die „alten Klassiker“, an denen jetzt auch die Post scheitert.
Zunächst die verunglückte Medienkonferenz von Post-CEO Susanne Ruoff am 8. Februar 2018. Die Geschäftsleiterin gibt dort an, sie habe „von den Vorwürfen des BAV“ erst im November 2017 erfahren. Und insinuiert damit, erst seit kurzem von dem Problem „in einer Ecke der Postauto AG“ gewusst zu haben. Der Blick enthüllt schon am Tag darauf, dass dem nicht so sei und bezichtigt Ruoff der Lüge. Die Post-Chefin habe schon seit 2013 um die Problematik gewusst. Ruoff versucht sich damit herauszureden, erst seit November 2017 sei von illegalen Praktiken die Rede gewesen.
Der Fehler: Ruoff hat es mit einer Schlaumeierei versucht: Sie hat wohl tatsächlich keine Lüge erzählt, denn der Satz, von den Vorwürfen des BAV habe sie erst seit 2017 gewusst, stimmt wohl so. Das BAV war ja selbst erst im Rahmen einer Revision im Herbst 2017 auf die illegalen Verbuchungen gestossen. Gleichwohl hat Ruoff verheimlicht, dass das Problem ein altes war und die Problematik schon seit 2013 auf der Traktandenliste. Mit anderen Worten: Sie hat Transparenz vermissen lassen und damit die negative Presse nachgerade heraufbeschworen. Denn: Schlaumeiereien funktionieren in der Medienwelt nicht: Es zählt nicht der Buchstabe des Gesagten, sondern der Eindruck, der vermittelt wird. Der Grundsatz im Einmaleins der Krisenkommunikation lautet darum auch: Wenn klar ist, dass ein Fakt sowieso an die Öffentlichkeit kommt, besser die Fakten gleich selbst kommunizieren, als warten, bis sie einem um die Ohren fliegen und zusätzlich auch noch der Vorwurf des Vertuschungsversuchs erhoben wird. Wie gross das Risiko ist, dass Fakten an die Öffentlichkeit gelangen, muss bei der Lagebeurteilung kritisch diskutiert werden. Wenn, wie vorliegend, die CEO von der eigenen Verantwortung abzulenken versucht und dafür zwei Manager der Postauto-Tochter opfert, liegt es mehr als nahe, dass einzelnen Medienschaffenden bald Dokumente zugespielt werden. Ich gehe gerne vom Grundsatz aus: Sobald es zwei wissen, ist es öffentlich.
Und heute der zweite Streich: Die Geheimhaltungsverpflichtung. Auch das ein Klassiker der Krisenkommunikation. Selbstverständlich will jede Organisation, gerade in der Krise, dass keine internen, und schon gar keine belastenden Dokumente nach aussen gelangen. Dass Geheimhaltungsvereinbarungen und Sprechverbote dafür der falsche Weg sind, ist allerdings hinlänglich bekannt und eigentlich Teil des kleinen Einmaleins der Krisenkommunikation. Jedes Kommunikationsverbot läuft nämlich Gefahr, von den Medien zum „Maulkorb“ hoch skandalisiert zu werden. Die Blick-Schlagzeile vom 9. März 2018 ist der klassische Beleg dafür.
Was wäre stattdessen zu tun? Zunächst: Es gibt keine Sprechverbote, aber Weisungen, anfragende Medienleute dorthin zu weisen, wo sie professionell bedient werden: an die Medienstellen. Sollte sich ein Medienschaffender an eine falsche Stelle in Ihrer Organisation verirren, ist die Antwort einfach: „Ich kann Ihnen keine Auskunft erteilen, aber die Medienstelle macht das gerne. Ich verbinde Sie!“. Und auf die Nachfrage, ob die Firmenleitung einen Maulkorb verhängt habe: „Überhaupt nicht, aber es ist weder in meiner Kompetenz noch meine Aufgabe, Auskünfte zu erteilen.“ Idealerweise wird das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht erst vermittelt, wenn schon Feuer im Dach ist, sprich: Die Krise in vollem Gang Wir empfehlen, einmal im Jahr auf diese Thematik hin zu sensibilisieren und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den diesbezüglichen Prozess in Erinnerung zu rufen. Das kann beispielsweise auch mit Mystery-Calls geschehen.
Einen offensiveren Weg in dieser Thematik sind übrigens beispielsweise die kanadischen Streitkräfte gegangen: Sie erlauben jedem einzelnen Soldaten, mit Medienvertretern zu sprechen. Allerdings nur über die Aufgabe, die er jetzt gerade konkret ausführt und über die er auch kompetent berichten kann. Über weitergehende Fragen haben auch die Soldaten an die entsprechende Stelle, den Public Affairs Officer, zu verweisen.
Im vorliegenden Fall der Post geht es um vertrauliche Informationen zwischen der Post und Partnerfirmen. Der Zeitpunkt, genau jetzt eine solche Geheimhaltungsvereinbarung an die Partner zu senden, ist nicht nur äusserst unsensibel gewählt. Sie muss vom Empfänger auch als Misstrauensbekundung verstanden werden. Wir mutmassen, dass die Rechtsabteilung oder Corporate Governance Abteilung der Post die Urheberin des Schreibens ist. Tatsächlich fehlt es in dieser Management-Displizin immer noch oft an der nötigen Sensibilität im Umgang mit den verschiedenen Anspruchsgruppen. Eine Lösung kann sein, der Stelle eine/n Kommunikationsspezialisten/in beizustellen, um ausgehende Dokumente darauf hin zu überprüfen, wie sie wohl beim Empfänger aufgenommen werden und dann allenfalls flankierende Massnahmen zu setzen. Eine solche hätte sein können, dass die Partner beim nächsten telefonischen oder persönlichen Kontakt darauf hingewiesen werden, warum eine solche Geheimhaltungserklärung nötig ist und was sie für die beiderseitige Geschäftsbeziehung bedeutet.[/vc_column_text][/vc_column][vc_column width=“1/4″][vc_column_text]
Wie lange ist Ihr letztes Medientraining her?
Manchmal muss es ja schnell gehen: Ein Produktrückruf aufgrund eines fehlerhaften Rohstoffs. Ein Mitarbeiter in der Finanzabteilung hat getrickst – und die Medien haben von der sofortigen Freistellung Wind erhalten. Da bleibt nicht mehr viel Zeit, um sich auf die Medieninterviews vorzubereiten.
Wir empfehlen deshalb allen Kommunikationsverantwortlichen und Geschäftsleitungsmitgliedern, Ihre eigene Kompetenz in Sachen Medienrhetorik à jour zu halten. Wir bieten Ihnen den Rahmen dazu. Individuell, persönlich, vertraulich. Bei uns oder bei Ihnen. In wenigen kurzen Sessions, oder einer längeren. Und zu den Themen, die Ihnen Kopfschmerzen bereiten.
Interessiert? Lassen Sie uns eine kurze Notiz zukommen, wir melden uns umgehend bei Ihnen für ein kurzes telefonisches Briefing (10 Minuten) und senden Ihnen eine konkrete, unverbindliche Offerte. Kontakt: info (at) comexperts.ch [/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]