Denken – Schlücken – Drücken – Sprechen
Lehren aus dem Faux-Pas von Sanja Ameti
Es ist ein altes Militärmotto, das jeder Funker der Schweizer Armee gelernt hat: Denken – schlücken – drücken – sprechen. Entscheidend ist die Reihenfolge. Sie meint: Überleg’ Dir erst, was Du zu sagen hast, bevor Du sprichst.
Es ist ein Motto, das so einigen gut tun würde. Vorab in der politischen Welt. Jüngstes Beispiel: Die 32-jährige Sanija Ameti. GLP-Politikerin, Zürcher Gemeinderätin, Chefin der «Operation Libero», Juristin, ewige Doktorantin, Mitarbeiterin der PR-Agentur Farner in Zürich und Grossmaul. So machte sie schon in der Vergangenheit mit saloppen Sprüchen Schlagzeilen, etwa, als sie in einer TV-Sendung über die SVP-Poltiker Albert Rösti und Hans-Ueli Vogt sagte: «Die kann ich mir nicht schöntrinken.» Ameti weiss: Klappern gehört zum Geschäft. Wer in den Medien wahrgenommen werden will, muss bisweilen provozieren. Das tat sie regelmässig, und weil sie auf der «richtigen» Seite steht (sprich: linksliberale Positionen vertritt), wurde sie alsbald Liebkind der Medienschaffenden.
Zumindest bis letzte Woche. Da postete Ameti auf Twitter, wie sie als Sportschützin übt. Nach einem Schiessstand sieht die Umgebung nicht aus. Ameti schiesst auch nicht auf eine F-, B- oder A-Scheibe, wie Sportschützen das in aller Regel tun. Sondern auf ein Bild, das Maria mit dem kleinen Jesus zeigt. Die Einschusslöcher sind deutlich zu sehen. Zu dem Post schreibt sie: «Abschalten».
Der Shitstorm folgte auf den Fuss. Als der BLICK letzte Woche nachfragt, ob sie sich bewusst sei, dass sie damit womöglich religiöse Gefühle von Menschen verletze, löscht Ameti den Post umgehend und entschuldigt sich. In 20MINUTEN wird sie mit der Aussage zitiert:
«Als Vorlage für das 10-Meter-Schiessen habe ich Motive gebraucht, die genug sichtbar sind. Ich hatte nur den Koller-Katalog zur Hand, der gross genug war. Auf den Inhalt der Bilder habe ich nicht geachtet. Das war nicht richtig. Tut mir von Herzen leid, falls ich damit jemanden verletzt habe!»
Aktuell findet sich auf ihrem Twitter-Profil lediglich noch die folgende Nachricht:
«Ich bitte um Vergebung bei den Menschen, die durch meinen Post verletzt wurden. Ich habe diesen sofort gelöscht, als mir der religiöse Inhalt bewusst wurde. Ich habe nichts dabei überlegt. Es tut mir unglaublich Leid.»
Gleichwohl ging der Faux-pax viral. Und das international. «In Switzerland, a muslim politician used Baby Jesus for target practice and posted it on Instagram – people like her embolden Muslims to attack Europeans. This is a hate crime», schreibt Stella Birdie. Schweizer Politikerinnen fordern Ametis Rücktritt aus allen politischen Ämtern. Ihre Partei, die Grünliberalen, distanzieren sich. Die EU-integrationsfreundliche Operation Libero, deren Präsidentin Ameti ist: sie schweigt.
In Kommentarspalten und Zeitungsartikeln wird fleissig diskutiert, ob man so naiv und sich der Bedeutung eines solchen Posts nicht bewusst sein könne. Oder ob Ameti gezielt habe provozieren wollen und der Schuss nun einfach, quasi buchstäblich, nach hinten los ging. Den meisten erscheint die Rechtfertigung Ametis als wenig glaubwürdig. Gaudenz Freuler, ein emeritierter Professor für Kunstgeschichte, hält Ametis Aussagen in der Zeitung 20 MINUTEN für eine «faule Ausrede». Religionswissenschafter Andreas Tunger-Zanetti findet an selber Stelle: «Das zeugt von schlimmer Unkenntnis und Ignoranz, die einer Politikerin schlecht ansteht.» Und: «Egal, ob religiös oder nicht, schon das Schiessen auf menschliche Darstellungen finde ich höchst fragwürdig.»
Besonders brisant: Auch Jürg Grossen, Parteipräsident der GLP Schweiz, nimmt ihr die Entschuldigung nicht ab. Im BLICK lässt er sich mit der Aussage zitieren: «Das war eine vorsätzliche Provokation.»
Weltweiter Shitstorm
Die Ausschnitte aus X (früher Twitter) zeigen, wie hoch die Wellen schlugen und wie die Affäre rasch auch weltweit Beachtung fand. Der Vorgang zeigt, dass religiöse Motive im Rahmen des tobenden Kulturkampfes heikler sind denn je. Von Personen in politischen, sportlichen oder gesellschaftlichen Führungsrollen muss deshalb erwartet werden können, dass sie sich dieser Problematik und ihrer Verantwortung bewusst sind und nicht leichtfertig mit dem Feuer spielen. Wer das nicht versteht, hat in einer solchen Rolle nichts verloren.
Die kommunikativen Lehren
Zum ersten (und das schreiben wir hier nicht zum ersten Mal):
Social Media Posts sind gefährlich. Besonders, wenn die Impulskontrolle versagt und einfach wild gepostet wird. Egal, ob bewusste Provokation oder dümmliche Naivität: Der Shitstorm, dessen finale Konsequenzen noch nicht abschätzbar sind, wäre zu vermeiden gewesen, wenn Ameti getan hätte, was wir allen raten, die auf Social Media posten: Schaltet zur Qualitätskontrolle einen «Produzenten» zwischen. Eine Person, die jeden Beitrag «abnimmt», bevor er online geht. Die kritisch hinterfragt: Ist es jetzt schlau, so etwas zu posten?
Zum zweiten:
Bei allem Drang zur Selbstdarstellung: Nicht alles muss ins Netz und online gehen. Wir plädieren für eine neue Kultur der Demut und der Selbstbeschränkung. «Content is king», aber richtig verstanden. Will heissen: Weniger BlaBla und heisse Luft, dafür mehr Substanz. Inhalte statt Verpackung. Relevanz statt Popanz. Die Schiessübungen der Möchte-Gern-Politikerin haben im Netz genau so wenig verloren wie die Hochzeit der Industriellentochter, bei der sich primär der Herr Papa inszeniert.
Zum dritten:
Die schöne neue Welt birgt das Risiko der Selbstüberschätzung. Jung, attraktiv und frech reichen heute aus, um von den Medien wahrgenommen zu werden. Und eine positive Medienwahrnehmung reicht häufig genug aus, um in der Politik in Amt und Würden zu gelangen. Auf der Strecke bleiben Bildung, Wissen und (Führungs-) Erfahrung.
Nur: Früher oder später wird die fehlende Substanz sichtbar. Die deutschen Spitzenpolitiker lassen grüssen: Ob Ricarda Lang, Kevin Kühnert, Saskia Esken oder Katrin Göhring-Eckert: Die Generation der Studienabbrecher und Langzeitstudenten ohne Abschluss beweist aktuell grad deutlich, dass die Substanzdefizite früher oder später zum Vorschein kommen und zum Bumerang werden. Das gilt auch für Ameti: Ein gutes Buch über die Kulturgeschichte Europas wäre das bessere Investment in die politische Zukunft gewesen als eine Combat-Übung im Stile einer IS-Terroristin.